Verblendung [2011]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. August 2012
Genre: Drama / Thriller / Krimi

Originaltitel: The Girl with the Dragon Tattoo
Laufzeit: 158 min.
Produktionsland: USA / Schweden / Großbritannien
Produktionsjahr: 2011
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: David Fincher
Musik: Trent Reznor, Atticus Ross
Darsteller: Daniel Craig, Rooney Mara, Christopher Plummer, Stellan Skarsgård, Steven Berkoff, Robin Wright, Yorick van Wageningen, Joely Richardson, Geraldine James, Goran Visnjic, Donald Sumpter, Ulf Friberg, Bengt C.W. Carlsson, Tony Way, Per Myrberg, Josefin Asplund, Eva Fritjofson, Moa Garpendal


Kurzinhalt:
Die vermeintliche Enthüllungsstory wurde von den Anwälten in der Luft zerrissen und der Journalist Mikael Blomkvist (Daniel Craig) zum Schadenersatz verurteilt, der ihn fast seine gesamten Ersparnisse kostet. Seine Reputation leider darunter verständlicherweise ebenso, wie die seines Magazins Millennium. Da erhält Blomkvist ein Angebot von Henrik Vanger (Christopher Plummer), der ihm nicht nur Geld in Aussicht stellt, sondern die Mittel, den Industriellen Wennerström (Ulf Friberg), gegen den Blomkvist vor Gericht verloren hat, bloßzustellen. Dafür soll Mikael ein 40 Jahre altes Rätsel lösen.
Damals verschwand Vangers Nichte Harriet und wurde seither nicht mehr gesehen. Henrik ist überzeugt, dass sie ermordet wurde und dass einer aus seiner Familie der Mörder ist. Verdächtige gibt es genug und die Beziehungen der Vangers sind so zerrüttet, dass dies durchaus vorstellbar wäre. Als Mikael anfängt, Nachforschungen anzustellen, kommt er einer Mordserie an jungen Frauen auf die Spur, doch um weiter zu kommen benötigt er die Hilfe der Hackerin Lisbeth Salander (Rooney Mara). Je tiefer sie graben, umso undurchsichtiger wird das Geflecht der Vangers und umso mehr geraten sie selbst ins Visier ...


Kritik:
Es ist nicht das erste Mal und es wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass sich Hollywood eines Stoffes annimmt, der in Europa oder woanders in der Welt bereits erfolgreich (für die Leinwand) umgesetzt wurde. Die erste Frage, die sich bei so etwas immer stellt ist: Ist eine neue Verfilmung wirklich notwendig? Millennium: Verblendung [2009] war zumindest erfolgreich genug, dass die beiden Hauptdarsteller Noomi Rapace und Michael Nyqvist seither sogar in großen Hollywood-Produktionen zu sehen waren. Basierend auf den Romanen von Stieg Larsson konnte die Millennium-Trilogie ein Millionenpublikum begeistern. Was sollte der renommierte Regisseur David Fincher dem also hinzufügen können? Offensichtlich nicht sehr viel und das bewahrt Verblendung gleichzeitig davor, Kenner der vorangegangenen Filme zu enttäuschen, aber es verhindert auch, dass sich der Thriller in irgendeiner Weise von der ersten Verfilmung absetzt.

Das geht sogar soweit, dass ganze Einstellungen und Perspektiven übernommen scheinen, beziehungsweise die Änderungen in den Dialogen und Szenenaneinanderreihungen so gering sind, dass man, ohne die Figuren im Bild zu haben, nicht weiß, welche Verfilmung man vor sich hat. Doch erweisen sich die Macher bei zwei Aspekten als inkonsequent: Zum einen sind Zeitungsausschnitte teilweise in Schwedisch gehalten, dann jedoch großteils wieder in Englisch, ebenso wie Einblendungen bei Fernsehaufnahmen oder der privaten Korrespondenz der Figuren, zum anderen wird Hauptfigur Lisbeth Salander weicher porträtiert.
Wie Rooney Mara gegen die prägende Darbietung von Noomi Rapace ankommen sollte, ist ohnehin fraglich. Und so viel Mühe sich die Schauspielerin auch gibt, ihre Charakterisierung steht dem Original sowohl an Charisma, wie auch an Mysterium nach. Das bedeutet nicht, dass sie der Rolle nicht gewachsen wäre, im Gegenteil. Nur kann man sich kaum vorstellen, durch ihre Figur allein zwei weitere Filme zu erzählen.

Trotz der nach wie vor skandinavisch klingenden Namen im Film erwarten den Zuschauer viele bekannte Gesichter. Daniel Craig gelingt es erstaunlich gut, gegen sein James-Bond-Image anzuspielen. Er macht aus dem Journalisten Mikael Blomkvist, welcher der Verleumdung angeklagt wurde und seine gesamten Ersparnisse sowie seinen Ruf verloren hat, einen durchaus verletzlichen Jedermann, der eher zufällig in ein Netz aus Intrigen, Verrat und Mord hineingerät. Er wird von Henrik Vanger engagiert, insbesondere in den letzten Momenten ergreifend verkörpert von Christopher Plummer, dem das ehemals einflussreichste Industrieimperium Schwedens gehörte. Vor 40 Jahren verschwand seine Nichte Harriet und seither erhält er jedes Jahr ein Geschenk, wie sie es ihm einst machte – in seinen Augen eine Verhöhnung des Mörders. Blomkvists Ermittlungen, getarnt als Recherche für Vangers Memoiren, bringen ihn auf die Spur eines Frauenmörders, der mit der Familie in Verbindung stehen könnte.

Was es mit den Geschenken zu Beginn auf sich hat, wird bei Verblendung nicht ganz so deutlich wie beim europäischen Vorgänger, dafür findet das Drehbuch eine etwas andere Auflösung als man es gewohnt ist. Was Regisseur Fincher hier eindrucksvoll gelingt, ist die Umgebung Schwedens für die bestechende Atmosphäre zu nutzen und so trotz der eher ruhigen Geschichte ein packendes Erzähltempo vorzulegen. Die zweieinhalb Stunden vergehen wie im Flug, zum großen Teil auch dadurch, dass der zweite Handlungsstrang um die Hackerin Lisbeth Salander und ihren gewalttätigen Vormund fesselt. Es ist erstaunlich, dass sich das Studio hier entschied, dem Original treu zu bleiben, auch wenn es für das Publikum nur schwer zu ertragen ist.
Dass die Nebenhandlung um Blomkvist und seine Affäre zur Verlagschefin Erika Berger noch weniger beleuchtet wird, macht sich insbesondere am Ende bemerkbar, wenn bestimmte Verhaltensweisen der Figuren nicht nachvollziehbar sind. Dafür wartet David Fincher erneut mit einer ungewohnten Wahl bei der Musik auf, die sich sehr atmosphärisch unter die Szenen mischt, aber bis auf den Vorspann nicht in Erinnerung bleibt.


Fazit:
Notwendig, das kann man zweifelsfrei sagen, ist Verblendung nicht. Dafür gleicht das Thrillerdrama zu sehr der europäischen Ko-Produktion. An der exzellenten Vorlage ändert dies nichts und die Geschichte bleibt nach wie vor dank der Figuren und der Verstrickungen der Familie Vanger spannend. Nur waren die familiären Verflechtungen in der ersten Verfilmung komplexer und nicht zuletzt die Darbietung von Noomi Rapace so beeindruckend, dass David Finchers Film keine nennenswerten neuen Akzente setzen kann, auch wenn der Erzählfluss leichter zugänglich ist.
Die Bilder sind toll ausgewählt und ebenso stilvoll komponiert, die Darsteller sind bemüht, ihren Figuren Charakter zu verleihen und die Atmosphäre ist angesichts der ungeklärten Mordserie und der schieren Anzahl der Verdächtigen beängstigend. Nur war Millennium: Verblendung all dies ebenfalls und überdies einen Tick origineller bei der Erzählung der Geschichte. Die kantigen Charaktere erschienen noch etwas unterkühlter und Lisbeth Salander noch undurchschaubarer. Die Hollywood-Produktion hat sich die meisten Eckpunkte abgeschaut – nur weshalb zur Kopie greifen, wenn das Original ebenso verfügbar ist?