Tödliches Kommando - The Hurt Locker [2008]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 26. August 2009
Genre: Thriller / Kriegsfilm / Drama

Originaltitel: The Hurt Locker
Laufzeit: 131 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2008
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Kathryn Bigelow
Musik: Marco Beltrami, Buck Sanders
Darsteller: Jeremy Renner, Anthony Mackie, Brian Geraghty, Guy Pearce, Ralph Fiennes, David Morse, Evangeline Lilly, Christian Camargo, Suhail Aldabbach, Christopher Sayegh, Nabil Koni


Kurzinhalt:
Staff Sergeant William James (Jeremy Renner) stößt zum Sprengstoffentschärfungskommando der Bravo-Kompanie, um den nach einem verheerenden Einsatz frei gewordenen Posten zu besetzen. Mitten in Bagdad, Irak, sieht er sich mit Sergeant JT Sanborn (Anthony Mackie) und Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty) einer Bevölkerung gegenüber, die sie nicht verstehen, und von der sie nur widerwillig akzeptiert werden. Als wäre das nicht genug, lauert bei den Einsätzen Scharfschützen der Terroristen oder weitere Bombenleger. Die Spannung im Team ist ohnehin sehr groß, doch der draufgängerische James verschärft den Konflikt.
Auch wenn die Ablösung der Bravo-Kompanie in weniger als einem Monat vorgesehen ist, müssen sich die Teammitglieder zusammenraufen, um gemeinsam zu überleben. Nur wie leicht wird es den Soldaten fallen, den Irak zurückzulassen, wenn sie denn tatsächlich nach Hause kommen und wer oder was wartet dort auf sie?


Kritik:
Regisseurin Kathryn Bigelow (Gefährliche Brandung [1991]) meinte in einem Interview, dass sie die Psychologie jener Männer im Bombenentschärfungskommando interessierte. Hält man sich vor Augen, dass diese Menschen freiwillig in den Einsatz gehen, sich also aus freien Stücken heraus einer Bombe nähern und diese zu entschärfen versuchen, während jeder normale Mensch das Weite suchen würde, muss man ein enormes Maß an Mut attestieren. Besser noch an Tollkühnheit. Und wie Tödliches Kommando auch herausarbeitet, ein drogenähnliches Verlangen des Adrenalinrausches.
Bereits der erste Einsatz, den man als Zuseher in The Hurt Locker miterlebt, veranschaulicht, dass die Bedrohung für das Spezialkommando nicht allein von der Bombe ausgeht, die es zu entschärfen gilt. Die Bombenleger mischen sich unters Volk, einerseits um ihren Triumph auskosten zu können, wenn die Entschärfung nicht gelingt, andererseits, um den Sprengsatz manuell zünden zu können, wenn etwas schiefgeht. Die Soldaten finden sich ihrerseits in einem Land wieder, in dem sie nicht erwünscht sind, dessen Sprache und Kultur sie nicht verstehen, und wo sich immer wieder Bombenleger und Terroristen unter eine Zivilbevölkerung mischen, die es an sich zu beschützen gilt. Auf sich allein gestellt, wäre ein Militärangehöriger ein leichtes und willkommenes Opfer. Und selbst in gepanzerten Fahrzeugen und in ganzen Truppen müssen sie sich in jedem Moment auf einen Hinterhalt einstellen. Diese Anspannung, die auch den Figuren merklich an die Nieren geht, überträgt sich schon nach wenigen Minuten auf die Zuseher und es dauert nicht lange, bis man von der ungeschönten Wucht der Erzählung in den Sitz gedrückt wird.

Immer wieder muss man sich fragen, wie es Hollywoodproduktionen gelingt, gerade mit diesem Schauplatz eine solche Authentizität herzustellen. Da dem Drehteam keine Erlaubnis erteilt wurde, in einem wirklichen Militärcamp zu drehen, verlagerte man die Produktion nach Jordanien, quasi direkt neben den tatsächlichen Schauplatz. Der enorme Detailreichtum und die glaubhafte Stimmung des Films verdankt die Regisseurin Autor und Mitproduzent Mark Boal, der Erfahrungen aus erster Hand sammeln musste, als er als Kriegsreporter im Irak stationiert war.
Herausgekommen ist einer der packendsten, und spannendsten Beiträge zum Thema "Kriegsalltag im Irak", die in den letzten Jahren im Kino zu sehen waren. Die unterschiedlichen Situationen beleuchten nicht nur die Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten, denen die realen Bombenräumkommandos in ihrem Alltag gegenüberstehen, sondern sie zeigen auch auf, unter welchem Druck und unter welcher Bedrohung die dort stationierten Soldaten tagtäglich arbeiten. Wie viele kleinere Einsätze ein solches Expertenteam dabei normalerweise pro Tag unternimmt, verschweigt der Film zwar, und auch bleibt leider außen vor, wie die Bevölkerung aus ihrer Sicht heraus auf die augenscheinliche Besatzungsmacht reagiert, doch liefert The Hurt Locker damit ein authentisches Bild der Situation, ohne sich in abgegriffenen Genreklischees zu verfangen. Wie die Soldaten auf diese Belastung reagieren, wird ebenso beleuchtet, wie die Zweifel, mit denen sie jeden Tag ihre Uniform anlegen. Das Soldatentum wird dabei weder verherrlicht, noch wird die Streitmacht als unbesiegbar dargestellt. Überhaupt lässt der Film die Frage nach der Legitimität des Einsatzes völlig außen vor. Stattdessen werden Elemente angesprochen wie private Sicherheitsfirmen, die im Irak eingesetzt werden und Kopfgelder für tote oder lebende Gefangene erhalten. Die kritischen Töne, die die Filmemacherin angesichts jener Söldnerei anklingen lässt, und auch die Bedenken, mit denen der drogenähnliche Rausch beschrieben wird, den die Einsatzkräfte unter Lebensbedrohung erfahren, zeigt allerdings auch, an welches Publikum sich Tödliches Kommando richtet. Die authentischen Szenarien verlangen dem Zuschauer dabei viel ab und es lässt sich wieder einmal darüber streiten, ob eine Altersfreigabe ab 16 Jahren wirklich gerechtfertigt war. Doch für die Erwachsenen Zuschauer, die den an sich ja internationalen Einsatz im Irak aus einem anderen Blickwinkel und ohne Pathos oder Glorifizierung der Kämpfe betrachten wollen, stellt The Hurt Locker den interessantesten und zermürbendsten Themenbeitrag dar.

Worauf man sich allerdings einstellen sollte sind Bilder, die auf Grund ihrer Darstellung der Situation vor Ort zu schaffen machen. Zum dokumentarischen Unterton der Erzählung wählte Regisseurin Bigelow außerdem den Einsatz von Handkameras, die das Geschehen allerdings in dementsprechend verwackelten Bildern einfangen. Das wirkt teilweise auch hektischer als bei der bekannten Bourne-Filmreihe und ist für schwindelanfällige Zuschauer ähnlich ungeeignet wie Cloverfield [2008].
Wer sich damit jedoch arrangieren kann, bekommt einen faszinierenden und beklemmenden Einblick in den Arbeitsalltag eines Bombenentschärfungsteams im Irak und in die Psyche jener Experten.


Fazit:
Selten gelingt es einem Film, die Zuseher so schnell zu fesseln, wie Regisseurin Kathryn Bigelow es hier schafft. Diese Spannung bleibt bis zur letzten Minute erhalten und steigert sich im Laufe der Erzählung auf eine Art und Weise, wie man es nicht erwarten würde. Ohne den Alltag oder die Taten der gezeigten Soldaten zu verherrlichen, zeichnet Tödliches Kommando ein bedrückendes und stimmiges Bild einer Spezialeinheit, deren Leben von allen Seiten bedroht wird.
Unerwünscht in einem fremden Land mit tödlichen Gefahren, die an den harmlosesten Orten lauern können, fasziniert, welche Personen es dorthin zieht. Und jene Figuren mit all ihren Fehlern, Eigenheiten, Zweifeln, Ängsten und Vorurteilen zu präsentieren, ohne aber eine Wertung abzugeben, gelingt dem ungewöhnlichen und intensiven Thrillerdrama auf eine beeindruckende Weise.
Wer sich mit den authentischen und erschreckenden Bildern abfinden kann und der Wackeloptik gewachsen ist, sollte sich The Hurt Locker nicht entgehen lassen.