The Descent – Abgrund des Grauens [2005]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. November 2005
Genre: Horror / Fantasy

Originaltitel: The Descent
Laufzeit: 99 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2005
FSK-Freigabe: keine Jugendfreigabe

Regie: Neil Marshall
Musik: David Julyan
Darsteller: Shauna Macdonald, Natalie Jackson Mendoza, MyAnna Buring, Saskia Mulder, Nora-Jane Noone, Alex Reid, Oliver Milburn, Molly Kayll, Craig Conway, Stephen Lamb, Leslie Simpson, Mark Smith


Kurzinhalt:
Ein Jahr ist seit einem tragischen Familienunfall vergangen, und noch immer plagen Sarah (Shauna Macdonald) Alpträume. Um sich selbst auf andere Gedanken zu bringen, willigt sie ein, mit ihren vier Freundinnen Beth (Alex Reid), Juno (Natalie Jackson Mendoza), Sam (MyAnna Buring), Rebecca (Saskia Mulder), sowie Junos Protegé und ebenfalls Extremsportlerin Holly (Nora-Jane Noone), eine Höhlenexpedition zu unternehmen.
Der Abstieg gestaltet sich auch sehr einfach und die faszinierende Welt, die die sechs jungen Frauen erwartet, ist begeisternd. Doch nach einem Erdrutsch ist die Truppe in einer Berghöhle eingeschlossen, und der einzig sichtbare Ausgang führt sie noch tiefer in das Gestein. Im Laufe ihrer Erkundung müssen sie erkennen, dass sie nicht die ersten sind, die die Höhle erforschen – und dass es Wesen gibt, die dort unten leben. Diese Kreaturen scheinen die Eindringlinge dabei nicht als Bedrohung zu sehen – sondern als willkommene Abwechslung ihres Speiseplans ...


Kritik:
Horrorfilme, das hat die Erfahrung der Studios gezeigt, sind in aller Regel günstig zu produzieren und spielen ihr Geld spätestens mit der Videoveröffentlichung wieder ein. Dass sich damit ein geradezu astronomischer Gewinn erzielen lässt, hat nicht zuletzt Blair Witch Project [1999] eindrucksvoll bewiesen, und auch der letztjährige Saw [2004] spielte weltweit das 100fache seiner Produktionskosten wieder ein – ohne den Gewinn aus dem Heimvideomarkt einzurechnen.
Dass sich auch in Großbritannien erfolgreiche Horrorfilme prodzieren lassen, bewies Regisseur Danny Boyle mit 28 Tage später [2002]; mit The Descent schickt sich der Filmemacher Neil Marshall, Dog Soldiers [2002] an, den Gruselthron für die Krone zurück zu erobern und dabei dem Genre das inzwischen beinahe abhanden gekommende Element des klaustrophobischen Schreckens zurück zu geben. Gelungen ist ihm das zwar nicht, sein Publikum scheint The Descent aber dennoch zu finden.

Dreh- und Angelpunkt der Beanstandungen ist dabei einmal mehr das Skript, das der Regisseur auch selbst verfasste, bei dem es ihm allerdings nur in wenigen Momenten gelingt, seine Charaktere so zu präsentieren, dass man mit ihnen mitfiebert. Das liegt einerseits daran, dass man die Vergangenheit lediglich einer Figur vorgestellt bekommt, diese aber gerade nach den ersten 20 Minuten im Film recht wenig an Charakterbildung zu tun bekommt, andererseits gibt es aber auch nur sehr wenige Momente, in denen die Ängste und Sorgen der Figuren bloßgelegt werden.
Zu guter letzt scheint die Gewichtung des Skripts ungewöhnlich stark verschoben, so konzentriert sich Marshall in den ersten 60 Minuten darauf, die Truppe in immer tieferen Höhlengebiete zu bringen, erhöht mit einer sehr klaustrophobischen Szene auch den Einsatz der Exkursion, bis zum Erscheinen der unterirdischen Bewohner vergeht allerdings nicht nur sehr viel Zeit, der Rest des Films konzentriert sich lediglich darauf, in einem langen Finale das Ableben möglichst vieler Figuren zu beschreiben, das aber stets nach derselben Vorgehensweise geschieht. Auch die schrecksamen Momente entpuppen sich allesamt als klischeebeladen und trotz der effektiven Art und Weise, in der sie vorgebracht sind, als absehbar.
Aus der Ausgangslage hätte man nicht nur bedeutend mehr machen können, es hätte vor allem innovativerer Situationen, beängstigenderer Momente und Figuren bedurft, die einem auch ans Herz gewachsen waren, um einen als Zuschauer wirklich zu fesseln. Aus dem Ende soll wohl jeder Zuseher selbst schlau werden und verschiedene Interpretationsmöglichkeiten sind in der Tat möglich – ob man sich damit aber überhaupt auseinandersetzen will, ist ein ganz anderes Thema. So bleibt das Skript weit hinter den Möglichkeiten zurück, macht es sich im Endeffekt nicht nur zu einfach, sondern scheitert auch an all jenem, was von Beginn an zu wenig aufgebaut wurde. Hier hätte man ohne Zweifel nacharbeiten können und auch müssen, um The Descent so Furcht einflößend zu gestalten, wie er hätte sein sollen.

Kaum einen Vorwurf kann man hingegen den Beteiligten, allen voran den sechs Hauptdarstellerinnen machen, die (zwar allesamt nicht sonderlich gut synchronisiert, aber immerhin) eine gute Arbeit leisten.
Angeführt von einer soliden, wenngleich stellenweise unterkühlten Shauna Macdonald, deren stärksten Momente in der ersten Filmhälfte liegen, sticht vor allem Natalie Jackson Mendoza heraus, die ebenfalls einige sehr fordernde Szenen besitzt, diesen aber mühelos gewachsen ist.
Auch Alex Reid und Nora-Jane Noone kassen keinen Grund zur Beanstandung offen, wohingegen MyAnna Buring und Saskia Mulder nur kaum zu sehen sind. Ebenso wenig wie Oliver Milburn, der einen sehr kurzen Auftritt hat.
Der Cast bringt dabei die entdeckerische Neugier zu Beginn des Films sehr gekonnt zum Ausdruck, und auch die um sich greifende Panik, sofern es solche Szenen denn überhaupt gibt, kommt zur Geltung. Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass die Beteiligten mehr zu leisten im Stande gewesen wären, hätte man sie denn auch mehr gefordert.

Handwerklich leistet sich Regisseur Neil Marshall keine Patzer, auch wenn der Schnitt von Jon Harris (Snatch - Schweine und Diamanten [2000], Layer Cake [2004]) in den actionreichen Szenen etwas zu schnell erscheint.
Beeindruckend sind allerdings die Sets, sowie die Landschaft, die in The Descent eingefangen wird; von den unterkühlten Waldregionen, über den ausschweifenden Höhleneingang, bis hin zu den klaustrophobisch engen Schächten im tiefen Innern des Bergs, wirkt die Umgebung nicht nur realistisch, sondern schlicht atemberaubend. Die Enge innerhalb des Gesteins einzufangen ist Kameramann Sam McCurdy auch exzellent gelungen, und gerade hier liegen die Stärken der Umsetzung: wenn sich das Team verirrt, der Rückweg abgeschnitten wird und schließlich auch die Batteriereserven zu Ende gehen, steigt allein durch die beengende und beängstigende Inszenierung das Unbehagen beim Zuschauer immer weiter.
Ausgeschmückt mit sehr ungewöhnlichen, einfallsreichen und abwechslungsreichen Kameraperspektiven hinterlässt die handwerkliche Umsetzung – mit Ausnahme der zu schnell und doch blutig eingefangen Kampfsituationen – einen sehr guten Eindruck, einzig übertroffen durch die wirklich exzellente, wenngleich beabsichtigt ekelhafte Maskenarbeit, die sich vor der Konkurrenz aus Hollywood nicht zu verstecken braucht. Wie alle das für weniger als sechs Millionen Euro hatte realisiert werden können, ist kaum vorstellbar und dafür verdienen die Macher auch zurecht Lob und Anerkennung.

Die Musik der Independent-Produktion stammt dabei keineswegs von einem Unbekannten, zeichnet Komponist David Julyan doch für die beiden bekannten Christopher Nolan (Batman Begins [2005])-Produktionen Memento [2000] und Insomnia – Schlaflos [2003] verantwortlich. Letzteren werden Kenner auch bereits beim Hauptthema zu The Descent heraushören, gestalten sich die beiden Motive doch sehr ähnlich.
Der übrige Score ist ansich sehr atmosphärisch, bisweilen schon zu subtil geraten, wobei bei bestimmten Erschreck-Momenten die obligatorischen, lauten Einsätze der Musik nicht fehlen dürfen. Was allerdings verwundert sind die teils gänzlich anderen Töne, die in manchen Einstellungen zu hören sind – so klingt unmissverständlich das dumpfe Pochen des kongenialen und immens effektiven Themas zu Ding aus einer anderen Welt [1982] während zweier Szenen aus den Lautsprechern (ursprünglich komponiert von Altmeister Ennio Morricone). Dass dies zum eher minimalistischen, auf ausgedehnte Streicher basierenden Score, nicht so recht zu passen scheint, ist offensichtlich.
Dennoch leistet Julyan eine routinierte Arbeit, die dem Film das an Spannung wieder gibt, was das Drehbuch aus den Situationen kaum aufzubauen vermag.

Wen The Descent letztlich wirklich ansprechen soll, ist schwer einzuordnen; diejenigen Zuschauer, die sich auf einen brutal inszenierten Splatterfilm einstellen, werden enttäuscht sein, dass viele dieser Szenen beinahe komplett im Dunkeln stattfinden, wohingegen sich andere fragen müssen, was am Film selbst letztlich so schockierend-spannend sein soll, wie vielerorts anpriesen wurde. Zu guter letzt bewies Ring [2002] eindrucksvoll, dass der wahre Horror auch ganz anderen Ursprungs sein kann.
Wodurch Marshalls Regiearbeit überzeugt, ist ein sauberes Handwerk, eine sich in der ersten Hälfte steigernden Atmosphäre, die dann allerdings erst sehr lange auf eine Konfrontation mit den Höhlenwesen warten lässt, ehe die Expedition in einem immer wieder nach derselben Art ablaufenden Angriff-Rückzug-Schema dezimiert wird. So vergeht eine knappe Stunde, ehe der Tisch für die Monster gedeckt wird, und bis dahin haben sich weder die Figuren genügend etabliert, noch wird man durch spannende Situationen an den Rand des Kinosessels getrieben – dafür erwartet den interessierten Zuschauer ein Finale, das sich ständig wiederholt und dabei stellenweise doch so groteske Storyausmaße annimmt, dass man nicht so recht weiß, ob der Schluss gar als Satire gedacht ist.


Fazit:
Am ehesten lässt sich The Descent vielleicht mit dem Besuch einer Geisterbahn vergleichen, die man zwar aus Jugendtagen kennt, aber schon seit Jahren nicht mehr besuchte – die Erwartungshaltung zu Beginn ist recht hoch, an einigen Stellen wird man sichtlich erschrocken, gleichwohl sich diese Momente lange ankündigen, und obwohl immer wieder auf einen Höhepunkt hingearbeitet wird, ist dieser doch schon vorbei, bevor man es überhaupt gemerkt hat.
Kamera und Schnitt geben sich sichtlich Mühe, die grausame Höhlenexpedition so atmosphärisch wie möglich zu gestalten, was stellenweise auch gelingt – die überdurchschnittliche Optik bleibt auch bis zum Schluss erhalten. Doch benötigt Autor und Regisseur Neil Marshall erst zu lange, um seine Truppe wirklich in Gefahr zu bringen, diese wird dann aber alsbald auch in einer stupiden und sich in Déjà-vus ergießenden Splatterorgie aufgelöst, die allenfalls Fans begeistern wird können. Selbst Blair Witch Project gelang vor einigen Jahren das Kunststück, das Klassiker wie Das Ding auszeichnete: beängstigende Momente, die einem als Zuseher die Kehle zuschnüren. Panik steigt bei The Descent nicht nur kaum auf, der Film ist spätestens mit dem Anbruch des actionbetonten Finales nicht mehr Furcht einflößend, ein Manko, das sich ein Horrorfilm ansich nicht leisten darf.