Marie Curie - Elemente des Lebens [2019]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 29. Juni 2020
Genre: Biografie / DramaOriginaltitel: Radioactive
Laufzeit: 109 min.
Produktionsland: Großbritannien / Ungarn / China
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Marjane Satrapi
Musik: Evgueni Galperine, Sacha Galperine
Besetzung: Rosamund Pike, Sam Riley, Anya Taylor-Joy, Ariella Glaser, Indica Watson, Cara Bossom, Aneurin Barnard, Katherine Parkinson, Simon Russell Beale, Tim Woodward, Jonathan Aris, Mirjam Novak, Corey Johnson, Demetri Goritsas, Michael Gould
Kurzinhalt:
Ende des 19. Jahrhunderts ist Marie Skłodowska (Rosamund Pike) an der Pariser Universität Sorbonne gefürchtet wie geachtet. Sie ist eine brillante Wissenschaftlerin, doch ihre kompromisslose Persönlichkeit stößt vor allem ihre männlichen Kollegen vor den Kopf. Auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten für ihr Labor trifft sie auf den Wissenschaftler Pierre Curie (Sam Riley), der von ihr fasziniert ist. Sie beginnen eine Partnerschaft, die bald über ihre gemeinsame Forschung hinausgeht. Maries bahnbrechende Grundlagenforschung führt zu ihrer Entdeckung der Radioaktivität. Sie, wie alle Koryphäen auf dem Gebiet der Physik, sehen das Potential der damit gewonnenen Erkenntnisse. Aber noch bevor den Curies der Nobelpreis verliehen wird, erkrankt Pierre zusehends und auch Marie wird von Symptomen geplagt. Während sie weiterhin für ihr selbstbestimmtes Leben und ihre Wissenschaft kämpft, entsteht langsam ein Verständnis, was mit ihrer weltbewegenden Entdeckung auch einhergeht …
Kritik:
Basierend auf dem Graphic Novel von Lauren Redniss, präsentiert die Filmemacherin Marjane Satrapi mit Marie Curie - Elemente des Lebens einen Film, der nicht wirklich eine Biografie ist, aber mehr als reine Fiktion zu sein scheint. Er handelt vom Leben und dem Einfluss der Arbeit der in Polen geborenen Physikerin und Chemikerin Maria Salomea Skłodowska, die als Wahlfranzösin Marie Curie nicht nur Pionierarbeit im Forschungsbereich der Radioaktivität leistete, sondern als erste Frau den Nobelpreis erhielt. Was wie ein Garant für ein ebenso wichtiges wie aussagestarkes biografisches Drama klingt, ist am Ende nichts wirklich und tonal schwer einzuordnen, so dass der Film der historischen Figur kaum gerecht wird.
Das Drehbuch setzt im Paris des Jahres 1934 an, wenn Marie Curie, altersschwach mit erst 66 Jahren, auf einer Bare liegend in ein Krankenhaus gebracht wird, der Ort, den sie wie keinen anderen auf der Welt stets gemieden hat. Weshalb das so ist, wird in einem Rückblick angerissen, der in die Erzählung eingewoben ist, die beinahe vierzig Jahre zurückspringt. Darin, so scheint es, zieht ihr Leben vor Maries Augen nochmals vorüber. Bereits damals ist sie eine brillante Wissenschaftlerin, die auf Grund ihrer teils undiplomatischen und direkten Art den Zorn ihrer zumeist männlichen Kollegen auf sich lenkt. So verliert sie ihr Labor und hat – ihr Ruf eilt ihr voraus – Schwierigkeiten, ein Neues zu finden. Bis ihr der Kristallograph Pierre Curie Räumlichkeiten anbietet, in der sie ihre wissenschaftlichen Untersuchungen durchführen kann. Und seine Zusammenarbeit, die sie anfangs jedoch strikt ablehnt.
In ihrem Auftreten ist Marie mitunter außergewöhnlich abweisend und schroff. Wenn sie wider Erwarten Pierre nahekommt, jedoch auch unsicher, so dass ihre Stimme zittert. Dann tritt sie beinahe kindlich euphorisch auf und frustriert, wenn andere die Brillanz ihrer Arbeit nicht erkennen wollen. Marie Curie - Elemente des Lebens stellt sie als Figur vor, ohne hinter ihr Erscheinen zu blicken und zu erörtern, weshalb sie so ist, wie sie ist. Ist es, weil sie sich anders gegen die männliche Dominanz in der Wissenschaft nicht wehren kann? Ist es auf Grund anderer Erlebnisse in ihrer Kindheit, die über eine traumatische Erfahrung mit ihrer Mutter hinausgehen? Regisseurin Marjane Satrapi scheint nicht in der Lage, oder nicht daran interessiert, sich der Figur abseits ihrer wissenschaftlichen Arbeiten zu nähern.
Während sie dem Werdegang von Marie Curie recht stringent folgt, zeigt, wie sie 1903 mit ihrem Ehemann Pierre zusammen den Nobelpreis gewinnt, streut sie immer wieder Ausschnitte in die Zeit nach Marie Curies Tod ein. Eine Szene in einem Krankenhaus 1957 in Cleveland, in der ein krebskranker Junge mithilfe einer Strahlentherapie behandelt wird, Tschernobyl 1986, Hiroshima 1945. Diese kurzen Momente sollen zeigen, wofür die Radioaktivität, die Entdeckung, die Curie maßgeblich geprägt hat, auch verwendet wird. Mag sein, dass sie selbst in ihrer überschwänglichen Euphorie angesichts der Möglichkeit der von ihr entdeckten Elemente Polonium und Radium naiv wirkt und man mit dem heutigen Wissen die teils verheerenden Einsatzmöglichkeiten der wissenschaftlichen Grundlagen anders einzuschätzen weiß. An welches Publikum sich diese Szenen wenden sollen, verstehe dennoch, wer will. Nicht nur, dass sie inhaltlich zum Rest nicht passen, die offensichtlichen Trickeffekte lassen sie umso künstlicher erscheinen.
Hierzu trägt auch die generelle Optik von Marie Curie - Elemente des Lebens bei. Stark weichgezeichnet, oftmals mit Gegenlicht, das die Szenerie künstlich begrenzt, hat man in den wenigen Außenaufnahmen und den Kulissen, durch die die Charaktere stapfen, ohne wirklich Teil von ihnen zu sein, durchweg den Eindruck, dies wäre eine Videoproduktion, die ohne das Budget auskommen muss, das sie im Grund benötigt.
Dass dies zumindest als Ausgangspunkt funktioniert, ist Hauptdarstellerin Rosamund Pike zu verdanken, die engagiert wie eh und je agiert. Doch so gut ihre Darbietung ist, so sehr sie alle Höhen und Tiefen ihrer Figur auslotet, es gelingt Regisseurin Marjane Satrapi nicht, ein Verständnis oder ein Gefühl dafür zu erzeugen, welche Art Persönlichkeit Marie Curie tatsächlich war. Zu sehen, wie sie von der gefeierten Wissenschaftlerin zur geschmähten Frau wird, vor deren Haus Franzosen ausländerfeindliche Parolen skandieren, sollte das Publikum bewegen, doch das tut es leider nicht.
Dass sich der Film gleichzeitig bedeutend länger anfühlt, als er tatsächlich ist, trübt den Gesamteindruck außerdem.
Fazit:
Anders, als der Inhalt vermuten lässt, ist Marie Curie - Elemente des Lebens keine Biografie. Das nicht nur, weil die ersten Jahre der späteren Nobelpreisträgerin gar nicht beschrieben werden, sondern weil Elemente wie die Ausschnitte aus der Zukunft, in der Radioaktivität eingesetzt wird, oder eine Alptraumsequenz, die nirgendwo hinführt, die Erzählung auseinanderreißen. Das erscheint gewollt künstlerisch, ebenso wie die spärlichen Kulissen, oder die „weiche“ Optik. Dabei werden Themen wie die Schwierigkeit Curies, sich in einer von Männern dominierten Welt der Wissenschaft durchzusetzen, oder Familie und Berufung gleichermaßen gerecht zu werden, nur gestreift. Stattdessen verwendet das Drama Zeit darauf zu zeigen, wie sie ausgegrenzt wird, als sie sich entgegen der gesellschaftlichen Konventionen mit einem anderen Mann einlässt. Beinahe, als würde Regisseurin Marjane Satrapi dies für wichtiger erachten, als Curies Errungenschaften. Die texturlose, sphärisch elektronische Musik unterstreicht den stilistisch unentschlossenen Eindruck noch. Es bleibt zu hoffen, dass das Publikum wenigstens Interesse an der Persönlichkeit von Marie Curie findet und sich daraufhin näher mit der historischen Figur beschäftigt. Sie hat es verdient.