Enron: The Smartest Guys in the Room [2005]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 03. November 2009
Genre: Dokumentation

Originaltitel: Enron: The Smartest Guys in the Room
Laufzeit: 105 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2005
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Alex Gibney
Musik: Steven DePalo, Chris Jordao
Darsteller: Peter Coyote, Joe Lingold, Michael Lugenbuehl, Mark Salzberg


Kurzinhalt:
Nicht einmal ein Großteil der 22.000 Beschäftigten des Energieriesen Enron wusste genau, womit die Firma ihr Geld verdiente. Entstanden in den 1980er Jahren und aufgeblüht durch die Liberalisierung der Wirtschaft unter der Administration von George H. W. Bush, wurde die Firma immer wieder als besonders innovativ und Richtung weisend bejubelt. Umso überraschender kam auch für viele Anleger die Insolvenz im Dezember 2001. Und das, obwohl seit Jahren absehbar hätte sein können, dass die Enron-Seifenblase zum Platzen verdammt war.
Enron: The Smartest Guys in the Room zeigt den Werdegang jenes Energiegroßkonzerns auf, wirft einen Blick auf die Männer, die zum Fall desselben und damit zum größten Skandal in der modernen Wirtschaftsgeschichte der USA beigetragen haben. Aber auch ihre Methoden werden beleuchtet, die an Unverfrorenheit kaum zu überbieten waren ...


Kritik:
Wer sich seinerzeit die Nachrichten ansah, konnte sich kaum vorstellen, wie ein milliardenschwerer Konzern wie Enron nur wenige Monate nach den Anschlägen des 11. September 2001 bankrott gehen konnte. Mit seiner preisgekrönten Dokumentation wirft Regisseur Alex Gibney einen Blick hinter die Machenschaften jenes Energieriesen, der 1985 durch eine Fusion entstand und nicht einmal 20 Jahre später in den Ruin getrieben wurde. Ausgelöst durch Bilanzfälschungen in einer Größenordnung, die man sich als normaler Mensch kaum vorstellen kann, entwickelte sich Enron zu einem hochspekulativen Konstrukt, dessen Seifenblase früher oder später zerplatzen musste. Weswegen niemand bei den Aufsichtsbehörden einschritt, alle möglichen Beteiligten lieber wegsahen anstatt einzugreifen, und mit welcher Systematik die Beteiligten vorgingen, um ihre Geschäfte zu verschleiern, hat Enron: The Smartest Guys in the Room ebenfalls zum Thema.

Machte man sich bei Enron nicht zuletzt auf Grund der guten Beziehungen zur Bush-Regierung erfolgreich stark für eine Lockerung der Wirtschaftskontrollen, hatte jener Skandal, der über 20.000 Beschäftigte von einem Tag auf den anderen auf die Straße setzte und zwei Milliarden Dollar an Pensionen zunichte machte, zur Folge, dass im Anschluss die Kontrollen gegenüber der Wirtschaft wieder verstärkt wurden. Dass selbiges nicht bei den Banken geschah, hatte zur Folge, dass sich die Weltwirtschaft heute in ihrer bisher größten, dagewesenen Finanzkrise befindet. Dabei waren eben jene Geldinstitute, die zu Enrons Kreditgebern zählten, auch eine der ersten, die von der Bankenkrise am stärksten betroffen waren. Mehr noch wurde den Banken eine Entschädigung aus der Insolvenz von insgesamt sieben Milliarden Dollar zugestanden. Lehren scheinen die Verantwortlichen aus dem Debakel jedoch nicht gezogen zu haben.
Was der Dokumentation anschaulich gelingt, ist eine Struktur in die Finanzgeschäfte des Energieriesen zu bringen, die nach der Auflösung des Konzerns so verworren gewesen sein mussten, dass es Jahre dauerte, ehe die Verantwortlichen rechtskräftig verurteilt werden konnten. Wie in einer Chronik verfolgt Regisseur Gibney den Aufstieg und den Fall des Energieriesen, ohne die Beteiligten dabei zu verteufeln, sondern lediglich, indem die Machenschaften vorgestellt werden und die Zuschauer ihre eigenen Meinungen dazu bilden sollen. Nicht zuletzt auf Grund der Aktualität der gezeigten Bilanzfälschungen, deren Muster sich in den letzten 18 Monaten in vielen Sparten wiederholt zu haben scheint, geht dies aufmerksamen Zusehern besonders nahe. Bekommt man Abrechnungsmöglichkeiten wie das spekulative und surreale "mark to market accounting" vorgestellt, bei dem mögliche Gewinne eines gerade abgeschlossenen Deals als real in die jetzige Bilanz aufgenommen werden können (ob diese Gewinne wirklich eintreffen, ist aber nicht sicher), ballen sich vor Wut die Fäuste. Statt dann aber wenigstens zu den eigenen Entscheidungen zu stehen, stellen sich Enrons Firmengründer später voller Überzeugung vor einen Senatsausschuss und erklären, es könnte eine Bilanzfälschung gegeben haben, und man könne sich das durchaus vorstellen – aber gewusst habe man davon nichts. Enron: The Smartest Guys in the Room verdeutlicht anschaulich und erschreckend, mit welcher Gewissenlosigkeit mancherorts in der Wirtschaft nicht nur mit Geld, sondern auch mit den Schicksalen der Menschen umgegangen wird. Hoch gelobt von anderen Instituten und Wirtschaftsmagazinen, regelmäßig als innovatives Unternehmen ausgezeichnet, ließ kaum jemand eine Kritik an Enron zu. Und wer dies tat, dem wurde Neid und Missgunst vorgeworfen.

Auch wenn Enron nur an der Oberfläche der Hintergründe kratzt und bei weitem nicht alle Verstrickungen aufgedeckt werden (können), was in gewisser Weise dennoch fehlt sind die Stimmen der ganz normalen Angestellten, die in jenem Strudel des Erfolgs mitgerissen wurden und am Schluss ohne eine berufliche Absicherung oder gar ihre Pensionsansprüche zurückgelassen wurden. Alle interviewten Personen hatten bei Enron eine wichtige Funktion inne oder stammten aus einem "inneren Kreis".
Mit unwürdigen Programmen, wie dass jedes Jahr die schlechtesten bewerteten 15% der Belegschaft gekündigt wurden oder Pokerspielen um die Energieversorgen des Bundesstaates Kalifornien, die nicht nur die Preise in die Höhe trieben, sondern auch dort viele Menschen betrafen, scheint Enron ein rein amerikanisches Phänomen. Sieht man sich aber geplante Lockerungen des Kündigungsschutzes oder eine vorgesehene Liberalisierung des Energiemarktes an, wird so dem US-Konzept auch hierzulande Tür und Tor geöffnet. Und das, obwohl die Enron-Blase vor nicht einmal 10 Jahre geplatzt ist und die Banken sich am Verhalten der Energiefirma wohl ein Beispiel genommen und so die aktuelle Weltwirtschaftskrise mit verursacht haben. Darum, so aufmerksam man die anspruchsvolle Dokumentation auch verfolgen muss, und so wütend einen viele Passagen machen, so wichtig ist es doch, den Werdegang eines der größten Wirtschaftsskandale der Neuzeit aufzuarbeiten, nicht um zu lernen, wie man die Bilanzen besser fälscht, damit niemand dahinter kommt, sondern welche Instrumente für eine solche Handlungsweise von vorneherein unterbunden werden müssen, um das Enron-Debakel nicht mit einem anderen Namen an der Firmentür zu wiederholen.


Fazit:
Auch wenn Regisseur Alex Gibney nicht allzu sehr ins Detail geht, wenn es um die Bilanzfälschungen und das Erschaffen von Scheinfirmen geht, mit deren Hilfe es den Enron-Verantwortlichen gelang, die Verluste in Milliardenhöhe zu vertuschen, er chronologisiert in seiner Dokumentation in groben Zügen, wie es einem Energiekonzern gelang, einerseits jahrelang nach Außen hin als innovatives und kreatives Unternehmen zu gelten, während sich im Innern einige Menschen in unermesslichem Maße bereicherten, skrupellos und ohne Rücksicht auf Verluste..
Was Enron: The Smartest Guys in the Room allerdings fehlt, ist zum einen ein Blick auf die normalen Angestellten, die urplötzlich ihren Arbeitsplatz verloren und auf der Straße standen, aber auch eine Beschreibung der Auswirkungen jener Konzernpleite. Insofern bleibt in gewissem Sinne eine abschreckende Wirkung außen vor. Für diejenigen, die einen Einblick in eine solche moralfreie Firmenstruktur gewinnen möchten, um daraus ihre Lehren zu ziehen, ist die Dokumentation ohne Frage geeignet und obendrein unterhaltsam dargebracht.