Die Passion Christi [2004]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. März 2004
Genre: Drama

Originaltitel:The Passion of the Christ
Laufzeit: 127 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2003
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Mel Gibson
Musik: John Debney
Darsteller: James Caviezel, Maia Morgenstern, Monica Bellucci, Hristo Jivkov, Francesco De Vito, Luca Lionello, Hristo Naumov Shopov, Claudia Gerini, Jarreth J. Merz, Roberto Bestazzoni, Fabio Sartor, Mattia Sbragia, Giacinto Ferro, Luca De Dominicis, Rosalinda Celentano


Kurzinhalt:
Von seinem Jünger Judas (Luca Lionello) im Garten Gethsemane verraten, wird Jesus von Nazareth (James Caviezel) gefangengenommen und vor den Rat der Hohenpriester gebracht. Diese klagen ihn der Gotteslästerung an und verlangen seinen Tod.
Doch da ihnen das Gesetz verbietet, jemanden hinzurichten, schaffen sie den Angeklagten zum Statthalter Pontius Pilatus (Hristo Naumov Shopov), auf dass er Jesus zum Tode verurteile. Pilatus allerdings, dessen Frau Claudia (Claudia Gerini) ihm rät, den Galiläer zu verschonen, kann keine Schuld bei Jesus, der sich der Sohn Gottes nennt, finden und lässt ihn zu Herodes (Luca De Dominicis) bringen. Obwohl auch dieser keinen Grund für eine Hinrichtung Jesu sieht, folgt Pilatus dem Willen des von den geistigen Führern aufgewiegelten jüdischen Volkes, und verurteilt, selbst die Hände in Unschuld waschend, Jesus zum Tod am Kreuz, da er einen Aufstand fürchtet.
Nach seiner Geißelung setzen die Römer Jesus eine Dornenkrone auf und geben ihm sein Kreuz zu tragen, an das er auf der Stätte Golgatha geschlagen wird. Auf seinem Leidensweg begleiten ihn neben Simon von Kyrene (Jarreth J. Merz), der Jesu Kreuz ein Stück des Weges trägt, seine Mutter Maria (Maia Morgenstern), Maria Magdalena (Monica Bellucci), die Jesus vor der Steinigung bewahrte, und Johannes (Hristo Jivkov).


Kritik:
Als bekannt wurde, dass Regisseur und Co-Autor Mel Gibson seine Interpretation der neutestamentlichen Passionsgeschichte in Aramäisch, Hebräisch und Latein filmen wollte, und das Werk ohne Untertitel in die Kinos kommen sollte, war der Aufschrei in Hollywood groß. Nachdem zudem klar war, dass der Film die Leiden Jesu Christi in einer nie dagewesenen Authentizität darstellen würde, sprang ein Studio nach dem anderen ab – ja zuletzt hatte Gibson sogar Probleme, einen Verleih für seinen Film (nun trotz hinzugefügter Untertitel) zu finden.
Dass der Film die unterschiedlichsten Reaktionen hervorruft, wurde auch nach Veröffentlichung deutlich: Viele warfen Gibson eine "parteiische" Sicht der Dinge vor, die die Juden in Allgemeinheit als Ankläger und Mörder Jesu hinstelle. Der Vorwurf des Antisemitismus ist bis heute ungebrochen – und doch ebenso gegenstandslos, wie unzutreffend.
Mit der vielleicht realistischsten, aufgrund dessen aber grausamsten und brutalsten Verfilmung des Leidens und Sterbens Jesu Christi – für die Christen der Sohn Gottes – gelang Mel Gibson einer der bewegendsten, aufwühlendsten und zugleich forderndsten Filme der letzten Jahre.

Zweifelsfrei hängt es ganz vom persönlichen Glauben ab, wie man Die Passion Christi als Film empfindet; wer jedoch ohne den verklärenden Schutzmantel der allsonntäglichen Gottesdienste einen Blick in die Bibel wirft und sich die verschiedenen Schilderungen der vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes ansieht, wird erkennen, dass Mel Gibson in seinem Film sehr wenig aus dramaturgischen Gründen hinzugefügt hat, oder wegließ. Wenn es allerdings in der Schrift heißt, dass Jesus ausgepeitscht und gegeißelt wurde, können oder wollen sich die wenigsten Gläubigen vorstellen, was das in Wirklichkeit bedeutet – dies in Bildern auf der Leinwand zu sehen, ist dagegen etwas völlig anderes, zumal Gibson Folterung und Kreuzigung in einer nie dagewesenen Weise und Ausführlichkeit zeigt, die derart schockierend realistisch geraten ist, dass man auch als erwachsener Kinobesucher mit manchen Szenen zu kämpfen haben wird und lange braucht, um sie zu verarbeiten.
Das Ganze ist jedoch nicht von den Drehbuchautoren erfunden, sondern nur in allen Bildern nacherzählt, was vor rund 2000 Jahren aufgeschrieben wurde, und ein zentrales Thema des christlichen Glaubens darstellt. Ob sich jeder Gläubige diese Bilder zumuten muss, sei dahingestellt, es vermittelt allerdings einen ersten und unumstößlichen Eindruck, welche Leiden und Schmerzen dem Messias aufgebürdet wurden, um die Menschen von der Sünde zu erlösen und das ewige Leben zu "erkaufen".

Darin besteht möglicherweise der größte Vorwurf, den man Mel Gibson bei seinem Werk machen kann: Dass er zwar die Leidensgeschichte erzählt und wie Jesus aus Liebe zu uns sein Leben hingibt, allerdings nur sehr kurz auf die eigentliche Kernaussage des Glaubens eingeht – dass das Leiden und die Qualen notwendig waren, damit in der Auferstehung Jesu Christi das Leben über den Tod siegen konnte.
Gibson verschweigt dies zwar nicht, zeigt es aber nur in einer äußerst kurzen Szene, die nicht-gläubige Zuschauer sehr wahrscheinlich nicht in dem Kontext verstehen können, wie sie gedacht ist.

Abgesehen davon braucht man über das Drehbuch von Die Passion Christi ansich kaum ein Wort verlieren: Der Inhalt erschließt sich jedem aus dem Neuen Testament des meistgelesenen Buches der Welt in vier Schilderungen der jeweiligen Evangelisten, die sich bis auf wenige Abweichungen großteils ähneln oder gleichen.
Hinzu gekommen sind in Gibsons Interpretation allenfalls die Visionen, die den Verräter Judas verfolgen, bevor er sich erhängt, und auch die Präsenz Satans, der Jesus nicht nur in Versuchung führt, sondern ihm außerdem den Mut nehmen möchte, und ihm signalisiert, dass Jesu Vorhaben, die Welt zu erlösen, scheitern werde, da die zukünftigen Kinder Anhänger Satans sein würden.
Wer es jedoch nun für unangemessen halten mag, Satan in die Passionsgeschichte einzubauen, sollte nicht zu vorschnell urteilen: Den Autoren gelang dieser neue Aspekt ansich sehr gut, und er hilft gerade am Schluss nochmals zu verdeutlichen, dass das Gute über das Böse siegen wird, ja dass Jesu Tod diesen Sieg überhaupt erst ermöglicht.
Ob die Darstellung der Visionen Judas' notwendig waren, darüber lässt sich streiten, insgesamt fallen sie aber nicht negativ auf, gleichwohl man der Sequenz Effekthascherei vorwerfen könnte.
Weitaus störender ist hingegen die Sequenz mit Herodes, die zwar ebenfalls in der Bibel erwähnt wird, stilistisch jedoch nicht ins Gesamtbild passen mag.
Anders verhält es sich hingegen mit den neu hinzugefügten kurzen Szenen, in denen ein römischer Soldat Jesu Mutter erkennt. Dafür ist eine Szene weggefallen, in der ein Soldat nach der Kreuzigung Jesus als den Sohn Gottes bekennt. Und auch das Würfeln um Jesu Kleider ist nur ganz am Rand eingebracht. Wohl aus dramaturgischen Gründen zerreißt bei dem Erdbeben nach dem Verscheiden des Gottessohnes nicht nur der Vorhang im Tempel, sondern das Gebäude selbst bricht entzwei. Vermissen werden Gläubige zudem die dreistündige Dunkelheit, die nach dem Tod Jesu das Land überkam.
Doch insgesamt hat Mel Gibson 13 der 14 Kreuzweg-Stationen fast wortgetreu in den Film übernommen. Es fehlt nur die Grabeswache, für deren Vorbereitung der Film allerdings noch fünf bis zehn Minuten länger gedauert hätte.
Insgesamt machen die Änderungen durchweg Sinn und wirken in keiner Weise der Vorlage gegenüber respektlos.
Wirklich sehr gut gelungen und sinnvoll eingefügt sind die kurzen Rückblenden auf wichtige Stationen im Leben Jesu, die entweder aus seiner eigenen Sicht oder denjenigen von Maria oder Petrus geschildert werden. Dort ist Jesus unter anderem als Kind, als junger Mann, bei der Bergpredigt und beim letzten Abendmahl zu sehen. Auch die Verschonung Maria Magdalenas vor der Steinigung wird so gezeigt. So notwendig und informativ diese kurzen Augenblicke aus Jesu Leben sind – stellen sie dem Zuschauer doch einen aufrechten, strahlenden und zuversichtlichen Mann vor –, könnte der Kontrast zum aktuellen Geschehen nach der Überblendung nicht größer sein; hier bekommt man einen gebrochenen, gepeinigten Menschen zu sehen – ein Bild, das man mit dem Sohn Gottes einfach nicht direkt verbindet.
Was, wie schon erwähnt, Anlass zur Kritik geben könnte, ist die Tatsache, dass über weite Strecken das Leiden Jesu Christi aus dem Zusammenhang gerissen erscheint. Erst in den letzten Minuten, wenn Satan besiegt und Jesus auferstanden ist, wird den Zuschauern klar, dass Jesus zunächst in den Tod gehen musste, um dann auferstehen zu können. Seine Qualen waren nicht umsonst; es war seine Bestimmung, sie zu tragen. Wer in Glaubensfragen bewandert ist, weiß das ohnehin; wer den Film allerdings losgelöst sieht, und mit dem Christentum nicht vertraut ist, wird Probleme haben, diese Botschaft zu entdecken – gleichwohl Mel Gibson sie nicht verschweigt, sondern in den über zwei Stunden seines Films konsequent darauf hinarbeitet.

Wodurch Die Passion Christi hauptsächlich in den Schlagzeilen stand und für Kontroversen sorgte, war der Vorwurf des Antisemitismus, der sich aber weder bei oberflächlicher, noch bei genauerer Betrachtung halten lässt.
Nicht nur, dass in der Bibel geschrieben steht, dass der (jüdische) Pöbel die Kreuzigung Jesu forderte, im Film lässt Gibson immer wieder Juden, darunter Veronika, die Jesus das Tuch reicht, auftreten, die für Jesus eintreten und die Ungerechtigkeit der Anklage anprangern – schon zu Beginn des Prozesses vor den Hohenpriestern. Auch aus der Menge stechen immer wieder Männer und besonders oft Frauen hervor, die mit Jesus sympathisieren und die Kreuzigung verurteilen.
Gerade eine Szene mit Simon von Kyrene macht dies überdeutlich klar: Simon hilft nicht nur Jesus, das Kreuz zu tragen, wozu er zunächst von den römischen Soldaten gezwungen worden war. Später setzt er sich außerdem lauthals für Jesus ein und lehnt sich gegen die Soldaten auf, die Jesus das Leid zufügen, woraufhin einer der Soldaten Simon ausdrücklich als "Jude" beschimpft.
Doch dies scheint von denjenigen, die schon "Antisemitismus" geschrieen haben, bevor der Film fertiggestellt war, nicht bemerkt worden zu sein. Mel Gibson hat diesen Film nicht judenfeindlich gestaltet, ganz im Gegenteil, gegenüber der Vorlage in der Bibel hat er viele Szenen noch abgeschwächt. Von einer Kollektivschuld ist nie die Rede und wird auch nie angedeutet.

Dass auf der Leinwand großteils unbekannte oder weniger im Rampenlicht stehende Darsteller zu finden sind, verwundert nicht, denn obgleich der Belzebub ein unter Filmschauspielern sehr begehrter Charakter ist, wagen sich nur sehr wenige an seinen Gegenpart Jesus Christus heran. So wurde die Rolle sowohl Jason Patric (Sleepers [1996]), als auch Johnathon Schaech (That Thing You Do! [1996]) angeboten, die aber ablehnten.
James Caviezel interessierte sich für einen angeblichen Surfer-Film namens The Passion (so der damalige Arbeitstitel) – erst als er im Casting saß und Mel Gibson herein kam, erfuhr er, worum es in dem Projekt tatsächlich ging.
Caviezel, bislang unter anderem bekannt durch Rollen in Frequency [2000] oder Das Glücksprinzip [2000], musste hierfür nicht nur Aramäisch und Hebräisch lernen, sondern hatte auch während der Dreharbeiten allerlei zu erleiden; so trafen ihn bei der Foltersequenz wirklich unbeabsichtigt zwei Peitschenhiebe – eine der schmerzhaftesten Erfahrungen seines Lebens, eine 35 Zentimeter lange Narbe ist ihm auf seinem Rücken davon geblieben. Während der Kreuzigungsszene, die im Winter in Italien gedreht wurde, erlitt er eine Unterkühlung, wurde er von einem Blitz getroffen (!), und als das 70 Kilogramm schwere Kreuz auf ihn fiel, renkte er sich die Schulter aus. Diese Szene ist im Film immer noch zu sehen.
Was James Caviezel jedoch gelang, ist eine der beeindruckendsten, forderndsten und ergreifendsten Darstellungen der letzten Stunden im Leben von Jesus Christus, die jemals auf Film festgehalten wurden. Derart imposant hat man diese Rolle noch nie verkörpert gesehen. Sowohl in den Rückblenden, in denen er mit einem unglaublichen Charisma aufwarten kann, als auch während der Leidenssequenz spielt er absolut überzeugend. Besonders stechen die Szenen hervor, in denen er durch Marias Anwesenheit neue Kraft schöpft, und seinen Weg weiter gehen kann. Die Kreuzigung ansich gehört zweifelsohne zu den schlimmsten Momenten im Film, ebenso wie die Geißelung, doch die Art und Weise, wie Caviezel die Schmerzen hier zum Ausdruck bringt, ist so authentisch, dass einem als Zuschauer schon Angst wird. Er wirkt nie fehlplatziert, oder fehlbesetzt, auch in den Dialogszenen entpuppt er sich schlicht als Idealbesetzung für die wohl schwierigste Rolle, die man sich vorstellen kann.
Dem steht Maia Morgenstern als Mutter Maria allerdings in keiner Weise nach. Besonders beeindruckend sind sowohl die Szene, in der sie nicht sicher ist, ob sie es ertragen kann, ihren Sohn als Träger des Kreuzes zu sehen, als auch wenn ihr die Trauer darüber, dass niemand etwas an seinem Schicksal ändern kann, ins Gesicht geschrieben steht.
Neben ihr verkörpert Monica Bellucci (Der Pakt der Wölfe [2001], Matrix: Reloaded [2003]) die ehemalige Ehebrecherin Maria Magdalena; sie hat zwar weniger Dialogszenen, wird aber dank Mimik und Gestik ihrer Rolle ebenso vollends gerecht.
Claudia Gerini hat nur wenige Szenen, sie spielt jedoch ebenfalls sehr gut. Als ihr Gatte Pontius Pilatus ist Hristo Naumov Shopov zu sehen, dessen bulgarischer Landskollege Hristo Jivkov den Johannes mimt – "Hristo" bedeutet übrigens "Christ". Beide verleihen ihren Charakteren eine Tiefe, die aus den wenigen Textzeilen, die in der Passionsgeschichte der Bibel zu finden sind, kaum vorstellbar gewesen wäre. Schauspielerisch gehört gerade Pilatus zu den Glanzlichtern im Film. Ebenso wie Francesco De Vitos Petrus, der allerdings nur zu Beginn zu sehen ist.
Eine sehr undankbare Rolle hat indes Luca Lionello als Judas. Insbesondere in der Szene, in der er seinen Fehler erkennt, zeigt er, dass er dem Part mehr als gewachsen ist. Erwähnenswert sind darüber hinaus Fabio Sartor als Römer Abenader und Roberto Bestazzoni als Malchus, dem Petrus das Ohr abschlägt.
Eine Ausnahmerolle kommt Rosalinda Celentano, Tochter von Schauspieler und Sänger Adriano Celentano, zu. Sie verkörpert Satan höchstpersönlich. Gleichwohl sie nur wenige Auftritte hat, verleiht sie durch ihre ruhige Art und einen beängstigenden Blick den gegenüber der Vorlage hinzugefügten Szenen eine Präsenz, die niemals als störend empfunden wird, und das Geschehen hervorragend, wenn auch höchst beunruhigend unterstreicht.
Stellt man sich vor, dass im Jahre 2003 eine Gruppe Schauspieler aus allen Winkeln der Welt zusammenkam, und vor der Kamera in ansich "ausgestorbenen" Sprachen wie Latein und Aramäisch redete, dann ist es Wunder, dass die Zuschauer angesichts der Dialoge nicht die Stirn runzeln. Es ist der wirklich ausgezeichneten und unverbrauchten Riege an Darstellern zu verdanken, dass diese Dialogsequenzen niemals gekünstelt oder unpassend wirken; die Schauspieler tragen ihren Text natürlich und flüssig vor, bestechen mit Intonierung und einer dazu passenden Mimik. Gibsons ursprüngliche Absicht, den Film ohne Untertitel zu veröffentlichen und die Darstellungen für sich selbst sprechen zu lassen, hätte somit durchaus funktionieren können.
Die Akteure leisten allesamt eine hervorragende Arbeit, die bei diesem schwierigen Thema unabdingbar war.

Inszenatorisch beeindruckt Mel Gibson in seiner dritten Regiearbeit nach Der Mann ohne Gesicht [1993] und Braveheart [1995] mit durchdachter Bildkomposition und sorgfältig choreografierten Szenen, die teilweise mit Zeitlupen versehen wurden, aber niemals die Gewalt in einem Exzess beschreiben, als hätte der Filmemacher seine Freude daran gehabt – ganz im Gegenteil: Bewusst greift der Regisseur immer wieder auf eine andere, weiter entfernt gelegene Perspektive zurück, oder die Kamera zeigt das grauenhafte Geschehen in den Gesichtern der anderen Beteiligten.
Zwar ist The Passion of the Christ einer der brutalsten Filme der letzten Jahre – eben weil die Brutalität, die er vermittelt, realistisch ist – und es wird auch offensichtlich, dass Gibson diese Gewaltdarstellung einsetzt, um den Zuschauern verständlich zu machen, was sich hinter den Schwarz auf Weiß gedruckten Worten des Neuen Testaments ansich verbirgt – doch gleichwohl er derart grausame Szenen präsentiert, dass sich einem der Magen verkrampft und die Luft abschnürt, wirkt die Gewalt nie sinnlos oder gar sadistisch gegenüber dem Zuschauer.
Das bedeutet aber nicht, dass der Film für ein Publikum ab 16 Jahren geeignet ist, wie die deutsche FSK in einem Anflug geistiger Umnachtung beschloss. Selbst erwachsene Zuschauer werden mit manchen Bildern lange zu kämpfen haben; Jugendliche, die nicht ihr Gehirn im Drogenrausch in der Disco oder beim Spielen vor dem Bildschirm verflüssigt haben, könnten durch das Gezeigte tatsächlich traumatisiert werden – und dies ist keine Übertreibung!
Gibson schildert bisher kaum vorstellbare Details aus der Geißelung und der Kreuzigung, und das in einer unbarmherzigen Art und Weise. Wenn die römischen Soldaten den geschundenen Leib Jesu nach der Geißelung des Rückens umdrehen und ihre Folter an Brust und Bauch fortsetzen, kommen die meisten Zuschauer unweigerlich an ihre persönliche Grenze des Erträglichen, viele höchstwahrscheinlich sogar darüber hinaus. Ebenso, wenn die Soldaten Jesus ans Kreuz schlagen, und ihm den Arm ausrenken müssen, um seine rechte Hand festnageln zu können. Dies sind Bilder und Eindrücke, die niemanden unberührt lassen können, und vor Unverständnis gegenüber der Tatsache, dass es so tatsächlich stattgefunden hat (beziehungsweise überliefert wurde), und vor Schock innerlich zutiefst aufwühlen.
Doch trotz dieser Grausamkeit und der schrecklichen Momente weidet sich der Regisseur nicht darin. Er zeigt nicht jeden Schlag, nicht jeden Nagel, der durch Jesu Leib getrieben wird. Gibson nutzt die Bilder, um den Menschen die Augen zu öffnen, was sie denn alljährlich am Palmsonntag und Karfreitag in der Messe während der Passionsgeschichte hören, um zu verdeutlichen, was hinter den Worten steckt.
All dies auf Film festzuhalten, war ohne Frage ein gewagtes und schwieriges Unterfangen, das ihm allerdings überzeugend gelungen ist. Kamera und Schnitt sind schlicht erstklassig und lassen an der Reife des Mannes hinter der Kamera keinerlei Zweifel aufkommen. Die Zeitlupen sind sinnvoll eingesetzt und verzichten auf effekthascherische Einstellungen. Man kann den Beteiligten zu diesem Balanceakt zwischen Kunst und Grausamkeit nur gratulieren.

Ebenso Komponist John Debney, der erstmals mit dem Titel-Thema für SeaQuest DSV [1993-1995] auffiel, und auch im Kino schon unter anderem mit Das Relikt [1997] und End of Days – Nacht ohne Morgen [1999] vertreten war.
Für Die Passion Christi verließ sich Debney auf einen zurückhaltenden, beinahe schon minimalistischen Score, der mit sphärischen Klängen und einem dezenten Chor beeindruckt. Er gleicht sich sowohl in den ruhigen Szenen, als auch in den voluminöseren, lauteren Sequenzen jeweils den Szenen auf der Leinwand an und macht nie einen aufdringlichen oder unpassenden Eindruck.
Als krassen Gegensatz zum düsteren, melancholischen Rest des Soundtracks schrieb John Debney für die Auferstehung eine kraftvolle Melodie, die gekonnt aus dem bekannten Thema hervorgeht, aber weitaus positiver wirkt und die Bedeutung der kurzen Sequenz somit klar herausstellt.
Der Komponist schickt den Hörer mit seiner Musik auf eine spirituelle und emotionale Reise, die die einzelnen Stationen des Films auch musikalisch wiedergeben und in Verbindung mit dem Film gerade deshalb eine so große Rolle spielen, weil man als gewöhnlicher Zuschauer, um der Handlung folgen zu können, ja in großem Umfang auf die Untertitel angewiesen ist – hätte Debneys Musik nicht zu den Bildern gepasst, wäre dies umso schwieriger geworden. Glücklicherweise gelang ihm mit seinem gewagten und nachdenklichen Score einer der besten und ungewöhnlichsten der letzten Zeit, den man sich auch ohne den Film jederzeit wieder anhören sollte.
Einen geeigneteren Komponisten hätte Mel Gibson nicht finden können. Debney überrascht hier mit einer Reife, die man ihm bislang kaum zugetraut hätte.

Manch ein Kinobesucher mag sich nach Beginn verwundert fragen, ob der Filmtitel denn schon gezeigt wurde, als der Vorhang noch unten war; tatsächlich wird der Titel des Films erst beim Abspann gezeigt, die Macher gingen zurecht davon aus, dass jeder, der sich ein Ticket kauft, sowohl den Namen, als auch den Inhalt bereits kennt.
Da sich kein Studio fand, das Die Passion Christi produzieren wollte, finanzierte Gibson den Film aus eigener Tasche. Die 30 Millionen Dollar, die der Film gekostet hat, hatte er schon am zweiten Tag wieder eingespielt – aller Kritikerschelte zum Trotz. Und obwohl Studios und Branchenkenner dem Werk einen Misserfolg prophezeiht hatten, spülte die Leidensgeschichte Jesu bislang allein in den USA über 315 Millionen US-Dollar in die Kassen, für einen Film dieser Altersfreigabe ein Rekord, und somit ist er der erfolgreichste Independent-Film aller Zeiten.
Mel Gibson selbst ist es übrigens, der quasi Jesus Christus beziehungsweise James Caviezel ans Kreuz nagelt: Zumindest handelt es sich in der besagten Szene um seine eigene Hand. Er begründete diese Entscheidung damit, dass "ich ihn ans Kreuz gebracht habe, durch meine Sünden".
Während der Kreuzigung ist übrigens Darsteller James Caviezel persönlich zu sehen und nicht, wie oft vermutet, eine Attrappe. Nur für manche Aufnahmen, die aus größerer Entfernung gedreht wurden, verwendeten die Macher eine detailgetreue Nachbildung des Schauspielers.
Außerdem feierte jeden Tag vor Drehbeginn ein kanadischer Priester, Fr. Stephen Somerville, auf Wunsch Mel Gibsons eine im Lateinischen gehaltene Messe für die Fimcrew.

Mel Columcille Gerard Gibson, der seine Nachforschungen zu diesem Film bereits 1992 begann, gehört einer strengen Glaubensgemeinschaft an, der die katholische Kirche seit den 1960er Jahren zu offen geworden ist. Er selbst wurde in diesem Glauben erzogen, was ihn zweifelsohne zu seinem Engagement in diesem Projekt bewogen hat.
Hierfür musste er zu Beginn viel Missgunst, Kritik, ja sogar Spott erdulden. Gleichwohl der Film noch nicht einmal fertiggestellt war, ereiferten sich zahlreiche Leute, die ihn anprangerten. Es dauerte seine Zeit, bis Gibson sein Werk an die Öffentlichkeit bringen konnte und der Erfolg gibt ihm letztendlich Recht.
Mit seiner schonungslosen Portraitierung der letzten Stunden im Leben des christlichen Gottessohnes gelang ihm eine Gratwanderung, an die sich vermutlich nur wenige Menschen wagen würden. Selbstverständlich weicht seine Interpretation der Dinge in bestimmten Punkten von den Schilderungen in der Bibel ab, schon aus dramaturgischen Gründen war das wohl unabdingbar. Und doch hält er sich bei all der Grausamkeit, bei allen Einzelheiten der Folterung und der Kreuzigung nur an das, was überliefert wird.
Aus diesem Grund sind die Stimmen derjenigen unverständlich, die Gibson kritisieren, den Tod Jesu auf eine "überlange, sadistische Foltersequenz" reduziert zu haben, die dabei noch "jede Spiritualität vermissen lässt". Die meisten Kritiker offenbaren bereits hier, dass sie von der Materie selbst keine Ahnung haben, oder sich offensichtlich schon seit Jahren nicht mehr damit beschäftigen. Schon aus dem Titel ergibt sich, dass Gibson ausschließlich das Leiden und Sterben Jesu Christi auf die Leinwand bringen wollte, wie es bei den vier Evangelisten für jeden Interessierten nachzulesen ist – nicht mehr und nicht weniger.
Wenn Kritiker dem Film vorwerfen, er wäre unterkühlt und nicht emotional, dann ist das ansich kein Vorwurf gegenüber dem Film, sondern einer, den die Leute sich selbst machen müssen – bewegender und erschütternder kann man das Leiden Jesu schlicht nicht darstellen.
Die Passion Christi wird aus einem Atheisten oder Angehörigen einer anderen Religion sicher keinen gläubigen Christen machen, oder umgekehrt. Der Film wird aber viele Gläubige daran erinnern, welchen unvorstellbaren Opfers sie alljährlich am Karfreitag gedenken.


Fazit:
Gibson zeigt, was geschrieben steht – und er zeigt es auf eine Art und Weise, wie man es sich kaum ausmalen konnte. Dabei dient das Leiden keineswegs dem Selbstzweck, wie im Film glücklicherweise noch herausgestellt wird – es ist Wegbereiter und unverzichtbar für den Sieg des Lebens über den Tod.
Dies filmisch umzusetzen, war eine Herausforderung, die die Filmcrew um Regisseur Mel Gibson mit großer Hingabe gemeistert hat. Egal wie man zu dem Endergebnis stehen mag, so muss man dem Filmemacher Gibson und seiner ganz eigenen "Passion" in Bezug auf dieses Projekt den verdienten Respekt zollen und den großen Mut bewundern.
Beinahe unerträglich brutal ist das Werk, keineswegs für Jugendliche geeignet, und doch dank der erstklassigen Darsteller, einer exzellenten Fotografie und eines bewegenden Scores ein Meisterwerk seines Genres, und auf jeden Fall sehenswert – solange man die Nerven dafür hat, denn mehrmals kann man sich Die Passion Christi sicher nicht anschauen.