Sergej Lukianenko: "Wächter der Ewigkeit" [2006]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 31. August 2008
Autor: Sergej Lukianenko

Genre: Fantasy

Originaltitel: Poslednij dosor
Originalsprache:
Russisch
Gelesen in: Deutsch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 446 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Russland
Erstveröffentlichungsjahr: 2006
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2007
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-3-453-52255-8


Kurzinhalt:
Das Zwielicht besteht aus mehreren Schichten. In die tieferen Schichten können jedoch nur diejenigen Anderen eintreten, die von höherer Macht sind, deren Kräfte die der einfacheren übersteigen. Aus jener Zwischenwelt beziehen die Anderen, die unerkannt auf der Welt leben, ihre Fähigkeiten. Es gibt Heiler und Magier, Hexen und Vampire, Dunkle und Lichte. Die Einhaltung eines Großen Vertrages, hervorgegangen durch einen Waffenstillstand zwischen Licht und Dunkel, übernimmt jeweils eine Wache. Die Wächter der Nacht, bestehend aus Lichten, und die Wächter des Tages, bestehend aus Dunklen. Die Inquisition steht über den Wachen und dient ihrer Kontrolle.
Anton Gorodezki ist nicht nur einer der prominentesten Mitarbeiter der Nachtwache, er ist inzwischen auch zum Hohen Magier aufgestiegen, der vorletzten Stufe dessen, was überhaupt möglich ist. Umso überraschter ist er, als sein Chef Geser ihn nach Edinburgh, Schottland sendet, um den Tod eines jungen Russen aufzuklären. Dort kommt Gorodezki der "Ewigen Wache" auf die Spur, bestehend aus einem mächtigen Dunklen Vampir, einem Lichten Heiler und einem Kampfmagier der Inquisition, deren Identität jedoch ein Rätsel ist. Sie haben es sich zum Ziel gemacht, den "Kranz der Schöpfung" an sich zu bringen, ein sagenumwobenes Artefakt, dessen Wirkung jedoch niemandem bekannt scheint.
Dass sie dafür bereit sind, zu töten, haben sie bereits unter Beweis gestellt. Doch welches Ziel verfolgt die "Ewige Wache"? In der tiefsten Schicht des Zwielicht liegt angeblich die Antwort, und Anton scheint ebenso ein Teil des Plans der "Ewigen Wache" zu sein wie vieles, was bislang wie ein Zufall aussah ...


Kritik:
Nun, acht Jahre nach dem Erscheinen von Wächter der Nacht [1998], ist sie endlich da, "Die Letzte Wache", wie Sergej Lukianenkos vierter Roman der Reihe in der wörtlichen Übersetzung lautet. Ursprünglich als Trilogie angelegt, erweiterte der Autor seinen Fantasy-Epos mit Wächter der Ewigkeit im einen weiteren Teil, nachdem die insbesondere in Russland überaus erfolgreiche Verfilmung des ersten Bandes ihn als unumstrittenen Bestsellerautor etablierte.
Wie es ihm dabei im letzten Buch gelingt, die Brücke zu Ereignissen zu schlagen, die er bereits viele Jahre zuvor in Gang gebracht hatte, ist unumstritten. Doch jene magischen Momente, die einem als Leser noch aus dem ersten Buch in Erinnerung geblieben sind, in denen ganz alltäglichen Objekten übernatürliche Kräfte zugeschrieben wurden, scheinen vergangen. In dem Sinne wurde das Fantasy-Element der Wächter-Bücher kommerzialisiert und damit massenkompatibel gestaltet. Das ist zwar nicht schlecht, doch hat der vierte Roman in gewisser Weise genau diejenigen Dinge eingebüßt, die ihn früher von anderen Werken des Genres unterschieden haben.

Die Geschichte selbst handelt dabei vom "Kranz der Schöpfung", einem magischen Artefakt, dessen Kraft und Wirkung nicht einmal denjenigen bekannt ist, die Jagd darauf gemacht haben. Erneut aufgeteilt in drei einzelne Geschichten, wird der Roman wieder aus der Sicht von Anton Gorodezki, der inzwischen zum Hohen Magier aufgestiegen ist und die Zusammenhänge hinter einem scheinbaren Mord in Edinburgh aufklären soll. Wie sich die Story entfaltet ist dabei in der Tat sehr interessant, zumal sich nicht so schnell absehen lässt, worauf Autor Lukianenko aus ist. Und doch entpuppt sich der vermeintliche Storytwist um ein Mitglied der "Ewigen Wache", bestehend aus einem Dunklen Vampir, einer Lichten Heilerin und einem Kampfmagier der Inquisition als weitaus banaler und für den Leser lange vorher abzusehen, als es im ersten Moment den Anschein besitzt.
Was an den beiden weiteren Geschichten in gewissem Sinne stört ist die Tatsache, dass sie alle Anton Gorodezki als alleinige Hauptfigur präsentieren und auch alle Kapitel aus seiner Sicht erzählt sind. Insofern fehlt der Erzählung trotz der angedeuteten epischen Ausmaße jene Zusammenarbeit mehrerer Figuren auf mehreren Ebenen, die man zu Beginn noch vermutet hätte. Stattdessen scheint die One-Man-Show in dem Sinne zu glatt abzulaufen. Es mangelt an Überraschungen und auch die eigentliche Auflösung behält sich nicht nur eine Hintertür für weitere Fortsetzungen auf, sondern wird als weitaus simpler entlarvt, als der "Kranz der Schöpfung" hätte vermuten lassen. Wer auf einen letzten Kampf zwischen Gut und Böse hofft, wird also enttäuscht werden.

Das Repertoire an Figuren, das der Autor allerdings auch aus den ersten drei Büchern wieder auffahren lässt, ist indes beeindruckend und scheint in der Tat den Kreis abzuschließen, der vor acht Jahren begonnen wurde. Angefangen von dem Jungen Jegor, bis hin zu Nebenfiguren, die entweder in Wächter des Zwielichts [2004] oder aber in Wächter des Tages [2000] eingeführt wurden, sind beinahe alle wieder vertreten – wenn meist auch nur in sehr kleinen Auftritten.
Was alledem jedoch in gewisser Weise fehlt ist eine Entwicklung der Figuren selbst, wobei gerade Anton Gorodezki nach seinen Erkenntnissen in den letzten Romanen hier ausgesprochen wenig vorangetrieben wird. Seine Meinung zur Situation der Anderen im allgemeinen und zu den beiden Wachen insbesondere wird zwar einmal mehr aufgezeigt, doch sein charakterlicher Sprung im letzten Drittel des Romans ist mit Abstand der kleinste, den er in der gesamten Romanreihe vollbringen musste.
Von Swetlana und Nadja ist kaum etwas zu lesen. Sebulon muss sich (abgesehen von einem kleinen Auftritt, den der Autor als Hommage an den ersten Film hat einfließen lassen) mit einem Gastauftritt abfinden und selbst Geser, zu dessen Werdegang man immerhin eine neue Information erhält, hat nicht wirklich viel zu tun.
Die vielleicht am weitesten ausgebaute Figur des Buches ist der Inquisitor Edgar. Alle anderen haben zwar ihre kleinen Momente, doch scheinen sie weitaus weniger Beachtung zu finden, als in den letzten Büchern. Hier hätte man sich als Abschluss sicherlich etwas mehr gewünscht, womöglich auch ein Finale, das alle Figuren mit einbezogen hätte, statt nur einige ausgewählte.

Dramaturgisch hat sich Sergej Lukianenko bislang nicht an die Konventionen der westlichen Literatur gehalten, sondern ist vielmehr seine eigenen Wege gegangen. Auch in dieser Beziehung scheint er sich in Wächter der Ewigkeit an sein außerhalb Russland gelegenes Publikum annähern zu wollen. So liest sich der Fantasy-Roman mit einen wohl platzierten Actionsequenzen, den gewählten Schauplätzen und den Beschreibungen nicht nur deutlich einfacher zugänglich, als beispielsweise die ersten beiden Bücher. Vielmehr scheint er in gewissem Maße in drei Akte aufgeteilt, so dass sich diese ohne weiteres für eine Verfilmung eignen würden. Kämpfe übergroßer Golems, effektvolle Zaubersprüche und bekannte Figuren wie Zauberer Merlin, die in die Geschichte mit eingewoben sind, erleichtern dem internationalen Publikum zweifelsfrei den Zugang.
Was Lukianenko auch diesmal leider nicht gelingt, ist das Finale der Reihe. Wer hier auf einen Knalleffekt hofft, wird leider enttäuscht. Vielmehr findet die letzte Konfrontation, die letzte Handlung Antons gar im Epilog statt, ehe der Roman überaus abrupt endet. Einen Epilog im eigentlichen Sinn, in dem die Hauptfiguren erneut auftreten und gezeigt wird, wie die Ereignisse ihr Leben verändert haben, fehlt völlig.
Nach dem langen Aufbau, den Mutmaßungen und Versprechungen über den "Kranz der Schöpfung" und der Aussicht, dass damit vielleicht die Existenz der Anderen überhaupt in Gefahr sein könnte, stellt sich das Ende als überraschend simpel heraus. Schon auf Grund der Erwartungshaltung enttäuschen die letzten Seiten somit ebenso sehr, wie sie verwundern, da sich der Autor einmal mehr nicht dazu durchringen kann, eine klare Beschreibung dessen zu schildern, was eigentlich geschieht. Vieles bleibt der Interpretation des Lesers überlassen.

Sprachlich fallen in der Übersetzung zu Wächter der Ewigkeit weniger Patzer auf, als noch im letzten Band. Und auch wenn die beinahe schon lyrische Ausdrucksweise mancher Figuren in der zweiten Romanhälfte etwas übertrieben scheint, alles in allem gibt es an der deutschen Fassung kaum etwas zu bemängeln. Der Roman ist flüssig erzählt und wird mit einem überraschenden Tempo dargebracht.

Nach einer so langen Wartezeit und den Ankündigungen von Autor und Verlag hatte man sich als Leser nicht ohne Grund sehr viel von der "Letzten Wache" versprochen. Umso größer müsste also auch die Enttäuschung sein, wenn der letzte Band nicht hält, was man sich einem so episch angelegten Werk versprochen hätte.
Die Zutaten für einen fulminanten Abschluss waren dabei durchaus vorhanden, die ersten beiden Geschichten legten hierfür einen entsprechenden Grundstein. Doch das Finale selbst ist es einmal mehr, das dem Autor nicht so recht gelingen mag und in der Konsequenz deutlich zu kurz erscheint.
Auf einer Buchvorlesung meinte Autor Sergej Lukianenko angeblich, dass er an einem weiteren Band arbeite. Vielleicht gelingt ihm da hierbei ein richtiger Abschluss. Einer, der dem Grundgedanken hinter der faszinierenden Fantasy-Welt auch gerecht wird.


Fazit:
Als Trilogie angekündigt, in vier Teilen ausgeführt und womöglich dennoch fortgesetzt ergibt die Wächter-Reihe im Rückblick einen uneinheitlichen Eindruck. Die originellen Gestaltung der ersten beiden Bücher scheint einer Anpassung an das westliche Publikum weichen zu müssen und wer gehofft hatte, dass wenigstens der Abschluss mit einer Zusammenarbeit der unterschiedlichsten Figuren enden würde, wird leider enttäuscht. Als Ein-Mann-Auftritt von Hauptcharakter Anton Gorodezki verkommen selbst einstige Protagonisten zu Nebencharakteren und haben insbesondere beim Finale, das ganz anders angelegt und ausgeführt ist, als man als Leser erwarten würde, überhaupt nichts, oder nur sehr wenig zu tun.
Doch die eigentliche Auflösung dessen, was der "Kranz der Schöpfung" bewirkt, hat mich vielleicht am meisten enttäuscht. Die Spekulationen, die Sergej Lukianenko über die Wirkung des Artefakts anstellt, haben auch mich dazu verleitet, mir vorzustellen, dass der Autor dies als Möglichkeit nutzen würde, das Leben der Anderen generell zu verändern – oder jenes Universum gar mit unserem zu verschmelzen. Herausgekommen ist ein Ende, das nicht nur überhastet wirkt, sondern mehr Fragen offen lässt, als es letztlich beantwortet. Sollte dies der letzte Einstand in jener Fanatsy-Welt gewesen sein, wäre er überaus enttäuschend. Gerade angesichts der Tatsache, dass bekannte Figuren auf gekonnte Weise wieder eingebunden werden und auch die Story selbst durchaus zu fesseln vermag.
Doch es ist eben der letzte Eindruck, der bleibt. Und dieser ist im Falle von Wächter der Ewigkeit zumindest nicht der, den man sich vorgestellt hatte, und ohne Frage auch nicht der bestmögliche.