Richard Matheson: "Ich bin Legende" [1954]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. Oktober 2005
Autor: Richard Matheson

Genre: Horror / Science Fiction

Originaltitel: I Am Legend
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 160 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1954
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1963
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 1-85798-809-4


Kurzinhalt:
In einer nach wie vor dicht bevölkerten Welt ist Robert Neville der letzte Mensch. Vor einem halben Jahr verwandelten sich einer Epidemie ähnlich alle Männer, Frauen und Kinder in Vamire, oder aber sie wurden von ihnen getötet. Weswegen er immun ist, weiß Robert nicht – nur, dass seine Frau und seine Tochter es nicht waren.
Inzwischen hat er sich, seiner Depressionen zum Trotz, mit der Welt um ihn herum arrangiert: Tagsüber zieht er durch die verlassenen Städte, legt sich Vorräte an, repariert sein Haus und tötet so viele Vampire, wie nur möglich. Nachts verschließt er sich in seinem gesicherten Haus, das mit allen Mitteln verteidigt wird, und hofft auf den nächsten Morgen.
Doch nach und nach wächst in ihm die Neugier, welche Verteidigungen gegen die Vampire, die zahlreichen Legenden entstammen, denn wirklich funktionieren – und was macht einen Menschen überhaupt zum Vampir? Auf der Suche nach den Antworten entdeckt Robert Neville eine Vielzahl weitere Fragen, und je mehr Zeit vergeht, um so sicherer ist er sich, dass er der letzte Überlebende seiner Art ist ... es fragt sich nur, wie lange er in einer solchen Welt überleben kann und will.


Kritik:
Es gibt nicht viele Autoren, die von sich behaupten können, sie hätten große Persönlichkeiten der Unterhaltungsindustrie geprägt – einer derjenigen, die dies ohne Übertreibung von sich sagen können, ist der inzwischen 78jährige Autor Richard Matheson, der nicht nur einen der meistgelesenen Autoren unserer Zeit, Stephen King, prägte, sondern die Vorlage zu Steven Spielbergs Spielfilmdebut Duell [1971] lieferte und mit seinen Werken auch Akte X-Erschaffer Chris Carter so sehr in seinem Schaffen beeinflusste, dass eine Figur mit Mathesons Name mehrmals in der Serie auftauchte.
Richard Mathesons Erstlingsroman nach seinem Dienst während des Zweiten Weltkriegs war die ungewöhnliche Science-Fiction-Horror-Novelle Ich bin Legende (1963 vom Heyne-Verlag unter dem Titel Ich, der letzte Mensch geführt und 1982 umgetauft), mit der Matheson einen Ruck durch die eingefahrene Mythologie der Vampire in Film und Literatur schickte. Es folgten mehrere Bücher und Kurzgeschichtensammlungen, darunter Die unglaubliche Geschichte des Mister C. [1956], Echoes [1958] und das Jenseits-Drama Das Ende ist nur der Anfang, Hinter dem Horizont [1978], das allgemein als Mathesons bestes und intensivstes Werk gilt. Die drei genannten Bücher wurden auch verfilmt, wenngleich mitunter mit einer Verspätung von 40 Jahren – darüber hinaus war Matheson als Autor für Film- und Fernsehproduktionen tätig, darunter bei Raumschiff Enterprise [1966-1969], The Twilight Zone - Unbekannte Dimensionen [1985] und Outer Limits - Die unbekannte Dimension [1995-2002].

Was Vampire sind, weiß heutzutage ansich jedes Kind, woher die Legende kam hingegen schon weit weniger Interessierte – wie Legenden allerdings entstehen, was als normal angesehen wird, und was mit einer moralischen Rechtfertigung geschieht, wenn sich das Gleichgewicht der Kräfte und die zahlenmäßige Gewichtung verändert, darum dreht sich Ich bin Legende ebenso sehr, wie um eine interessante, psychologisch ausgefeilte und tiefgehende Analyse einer Person, die sich mit einem immer näher rückenden Schicksal abfinden muss, in einer so hoffnungslosen Welt, dass der einzige Ausweg derjenige ist, den die Figur von Grund auf nicht für sich entschied.
Die Grundlagen der Story werden dabei in Rückblicken erzählt, in denen sich Robert Neville daran erinnert, wie die Ausbreitung der Vampire begann, und bei denen er immer neue Erkenntnisse darüber erlangt, was an den Vampirmythen denn nun richtig und was nur erfunden ist. Nevilles Tagesablauf zu folgen, die Welt und ihre Änderungen durch seine Augen zu sehen, gibt der Story einen sehr persönlichen Eindruck, und in den vier beschriebenen Zeitabschnitten mitzuerleben, wie sich seine Wahrnehmung der Welt ändert, wie er mit den anfänglichen Depressionen umzugehen versucht, und sich schließlich in einer Welt wiederfindet, in der er nicht der letzte normale Mensch, sondern der letzte andersartige Mensch ist, ist der Anreiz des Romans, der ohne Zweifel und vollkommen zurecht als einer der Meilensteine des Genres gehandelt wird.
Die Geschichte ist dabei so komplex wie auf den ersten Eindruck einfach gehalten, entwickelt in ihrer Struktur viele zusätzliche Schichten, die Matheson in den Rückblicken blank legt und mit denen er die Figur des Robert Neville um Facetten erweitert, die man anfänglich nicht gesehen hat.
Ein Schwerpunkt für Kenner des Vampir-Genres wird jedoch die Entmystifizierung des Kults um die Blutsauger sein, die dem Autor in beinahe allen Belangen – und das scheinbar beiläufig – gelungen ist. Da wird die Angst vor Kreuzen, die Reaktion auf Knoblauch und auch das Ableben bei Sonnenlicht erklärt, Beziehungen zu anderen Religionen und viel gestellte Fragen zu den Unstimmigkeiten der Legenden geklärt. Dass im Endeffekt von Bram Stokers Dracula-Figur nicht viel übrig bleibt, ist wohl beabsichtigt, für Fans des Grafen aber ebenso interessant wie für diejenigen, die mit dem Fantasy-Horror-Genre bislang nicht viel anfangen konnten.

Dreh- und Angelpunkt von Ich bin Legende ist Robert Neville, wobei man von ihm erstaunlicherweise zuerst gesagt bekommt, wie er auf seine Situation reagiert, ehe sein Hintergrund erklärt wird; der Charakterentwicklung, bis hin zum Finale beizuwohnen ist ebenso überraschend wie trotz der Länge des Romans ausgeschmückt. Seine geistigen Zwiegespräche werfen dabei Fragen auf, die der Leser für sich beantworten soll und haben einen mitunter schon philosophischen Charakter. Dass von den übrigen Figuren kaum jemand wichtig erscheint, liegt in der Natur des Romans, stört jedoch nicht.
Außergewöhnlich gut ist Autor Richard Matheson die ständige Beklemmung gelungen, die Nevilles Welt für ihn bedeutet. Die drückende Atmosphäre angesichts einer klaustrophobischen Einsamkeit und einer lebensbedrohlichen Situation Nacht für Nacht. Dank des schnellen Schreibstils und der geschickten Wortwahl kann man die wachsende Verzweiflung in Nevilles Weltanschauung spüren, erlebt mit ihm einen Knick in seiner Gesinnung und eine Neuorientierung, die ebenso verständlich wie überraschend erscheint.
Dass das Finale selbst etwas überstürzt scheint schmälert jedoch nicht den Aha-Effekt beim Schluss des Romans, der dem Autor wirklich gelungen ist. Es ist eine mutige Entscheidung, die endgültiger erscheint, als das, was viele seiner Kollegen vermutlich getan hätten.

Sprachlich gehört I Am Legend, so der Originaltitel, nicht zu den am leichtesten verständlichen Büchern; entsprechend der Entstehungszeit verwendet der Autor nicht nur einige ältere Begriffe, sondern auch eine etwas andere Syntax, in die man sich als Leser erst einfinden muss.
Davon abgesehen schreibt Matheson aber flott, seine Beschreibungen sind detailliert und doch knapp gehalten, und auch längere Satzstrukturen können problemlos verstanden werden. Mit der inzwischen eingebürgerten Pop-Literatur-Richtung von Autoren wie Michael Crichton oder DanBrown hat Ich bin Legende aber nichts gemein und ist schon auf grund der subtilen psychologischen Aspekte anstrengender zu lesen, als man erwarten würde.

Klappt man das Buch nach den 160 Seiten wieder zu, benötigt man als Leser erst einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen. Gerade das Ende ist ansich alles andere als leicht verdaulich und die beabsichtigte Bedeutung der Thematik herauszulesen ist gerade nach dem Schluss schwieriger, als nach den ersten 80 Seiten, in denen der Horror-Aspekt überwiegt, ehe sich Matheson daran macht, den Vampir zu erklären und sich noch stärker auf seine Hauptfigur zu konzentrieren. Das Element der Science Fiction wirkt hier jedoch nicht gekünstelt eingebracht oder gar aufdringlich. Vielmehr erscheint es als Bestandteil der Geschichte von Grund auf präsent und übernimmt im Verlauf des Romans schlicht die Oberhand, wie auch Nevilles Interesse, dem Mythos der Vampire auf die Schliche zu kommen.
Mit den neuartigen Ideen, dem ungewöhnlichen Ansatz und der Ausführung der Thematik gelingt Richard Matheson nicht nur ein Neubeginn im Vampir-Genre, er prägte es damit so sehr, dass seine Einfälle seither in unzählige Comics, Filmen und Büchern kopiert wurden, jedoch ohne die zugrunde liegende Komplexität zu erreichen.
Was man sich als Leser allenfalls gewünscht hätte, wäre ein ausführlicheres und länger vorbereitetes Finale; den Schluss ansich betrifft das nicht, der den Leser kalt erwischt und ihn mit vielen Gedanken, vielen Fragen und auch einem etwas niedergeschmetterten Gemüt hinterlässt.


Fazit:
Dass eine Geschichte über den letzten lebenden Menschen auf der Welt keinen fröhlichen Roman ergeben würde, ist verständlich, und doch verwundert es, dass Ich bin Legende ansich nicht durchweg depimierend geschildert ist. Zwar ist die Stimmung, die Autor Richard Matheson erzeugt, stets bedrückend und insbesondere in der ersten Romanhälfte sehr beängstigend, doch mit anzusehen, wie Robert Neville seine Umgebung akzeptiert, sich mit der Lage auf der Welt arrangiert und sich auf die Suche nach den Ursprüngen der Vampire macht, nimmt dem Buch viel von seiner Schwermütigkeit, die erst beim Ende wieder in einer unerwarteten Heftigkeit und mit einer Endgültigkeit eingeworfen werden, so dass man gerade beim Nachdenken über das Buch ins Straucheln gerät.
Dabei widmet sich der Autor unterschwellig ganz anderen Themen, zerpflückt immer weiter und mit einer beinahe schon detektivischen Präzision den Mythos um die Vampire ansich, liefert gleichzeitig ein unterschwelliges Psychogramm über Robert Neville und beschreibt in den letzten Seiten auf überraschende und erkenntnisreiche Weise die Entstehung einer Legende, mit der man schlicht nicht gerechnet hätte.
Diese Vielschichtigkeit auf nur 160 Seiten unterzubringen ist eine Meisterleistung, und das, zumal Matheson sein beschriebenes Universum ebenfalls zum Leben erwecken muss. Genau diese Aspekte haben mir bei I Am Legend auch am besten gefallen – Neville auf seiner Odysse zu begleiten, seine Entwicklung zu beobachten und mitzuerleben, wie sich die Welt um ihn herum weit mehr verändert, als er sich einer so unvorstellbaren und Angst einflößenden Welt, sind Eckpunkte eines Romans, der das Vampirgenre um Elemente bereicherte, die seither so schamlos von allen möglichen zweit- und drittklassigen Autoren der verschiedensten Unterhaltungsmedien ausgeschlachtet wurden, dass man als Kenner des Buches über manche Ware in Schrift- und Filmform nur noch müde lächeln kann.
Matheson gelang vor über 50 Jahren ein zeitloser Klassiker, den nicht nur Fans des Vampirgenres gelesen haben sollten, die Verknüpfung zwischen Horror und Science Fiction ist hier so gut gelungen wie selten zuvor – oder danach.