Kazuaki Takano: "Extinction" [2011]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. November 2017
Extinction-Cover
Urheberrecht des Covers liegt bei
C. Bertelsmann | Verlagsgruppe Random House GmbH
ISBN: 978-3-570-10185-8 (Paperback); Preis € (D) 14,99
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Verwendet mit freundlicher Genehmigung.
Autor: Kazuaki Takano

Genre: Thriller / Science Fiction

Originaltitel: Jenosaido
Originalsprache: Japanisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: E-Book
Länge: 513 Seiten
Erstveröffentlichungsland: Japan
Erstveröffentlichungsjahr: 2011
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2015
ASIN (gelesene Ausgabe): B00L845MD2


Kurzinhalt:
Inmitten der von der Gewalt zerrissenen Republik des Kongo erblickt eine neue Lebensform das Licht der Welt. Forscher Nigel Pierce berichtet Kollegen davon, die nächste Stufe der menschlichen Evolution gefunden zu haben. Für die amerikanische Regierung stellt das Kind Akili jedoch eine Bedrohung für die gesamte Menschheit dar, da niemand abzuschätzen vermag, welche Fähigkeiten es besitzt oder erlangen wird. US-Präsident Burns ordnet daher an, das Wesen zu töten. Jonathan Yeager, dessen Sohn Justin an einer tödlichen Krankheit leidet und im Sterben liegt, führt die vierköpfige Söldnertruppe an, die den Auftrag unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ausführen soll. Doch als sich Yeager Akili gegenübersieht, kommen ihm Zweifel. Umso mehr, da Pierce ihm versichert, dass in Japan Kento Koga an einem Heilmittel für Yeagers Sohn arbeite. Doch die Zeit drängt, sowohl für Justin als auch für Akili selbst, den paramilitärische Milizen ins Visier nehmen – auf Geheiß der US-Regierung …


Kritik:
Mehrere Drehbücher von Autor Kazuaki Takano wurden in Japan bereits verfilmt. Sein Roman 13 Stufen [2001] ist unter anderem darunter. Extinction ist sein erstes Werk, das ins Englische übersetzt worden ist und angesichts der internationalen Story dürften die Chancen nicht schlecht stehen, dass auch dieses Werk auf die große Leinwand gebracht wird. Doch so interessant die Grundidee dabei ist und so packend sie mitunter erzählt wird, so technisch ist sie an anderen Stellen und so vergleichsweise unbefriedigend die Auflösung.

Die Ausgangslage ist dabei vergleichsweise einfach: Im Herzen Afrikas entdeckt ein Forscher ein Kind, das er als nächste Stufe der menschlichen Evolution bezeichnet. Dieses Wesen besitzt kognitive Fähigkeiten, die selbst die der intelligentesten Köpfe des Planeten bei weitem übersteigen. Auf Grund der Prognosen einer politischen Denkfabrik, dass auch ein solch weiterentwickelter Mensch das Ende der übrigen Menschheit bedeuten könnte, wird ein Plan ins Leben gerufen, es zu töten. Jonathan Yeager ist ein ehemaliger Elitesoldat, der inzwischen für einen privaten Militärdienst arbeitet. Er soll eine Gruppe anführen, die in den Kongo vordringt und das Wesen tötet. Dabei wird ihnen nicht der wahre Grund genannt, vielmehr soll in dem Pygmäen-Stamm, in dem sich das Kind aufhält, ein ansteckender Virus grassieren.

Es dauert lange, ehe sich Yeager und sein Team dem Wesen gegenübersehen. Autor Takano widmet sich in wiederkehrenden Erzählsträngen dem US-Präsidenten und dem Leiter der Operation, die den Tod des Wesens zum Ziel hat, Arthur Rubens. Aber auch dem Arzneimittelstudenten Kento Koga, der in Japan eine Nachricht seines kürzlich verstorbenen Vaters erhält, wonach er in einem verlassenen Gebäude Anleitungen findet, einen Wirkstoff gegen eine seltene, bislang unheilbare und tödliche Krankheit, die im Kindesalter auftritt, herzustellen. Dass Yeagers Sohn an dieser Krankheit leidet, scheint auf den ersten Blick ein allzu großer Zufall zu sein, doch wie Extinction gekonnt herausarbeitet, geschieht nichts, was hier passiert, unbeabsichtigt.

Dabei zählt es zu den großen Stärken des Romans, das Verständnis der Welt und den Verstand dieser neuen Spezies in Form des Kindes Akili zum Ausdruck zu bringen. Welche Auswirkungen ein solch evolutionärer Sprung für die Fähigkeiten dieses Wesens (unabhängig von den fantastischen Überlegungen bestimmter Comic-Reihen) bedeuten, aber auch für wie gefährlich es gleichzeitig für das derzeitige Machtgefüge sein könnte, ist schlicht faszinierend zu lesen. Dabei gelingt es dem Autor treffend, sowohl den Ton als auch die knapp zusammenfassende Deutlichkeit von offiziellen Dokumenten – in diesem Fall der fiktive "Heisman Bericht", der verschiedene Weltuntergangsszenarien in einem Dossier zusammenfasst – einzufangen.

Doch so faszinierend das im Grunde ist, es fällt auf, dass die Figuren nur wenig über das hinaus entwickelt werden, was in ihren ersten Momenten über sie beschrieben wird. Das mag angesichts der schieren Menge mit mehr als einem Dutzend wiederkehrender Personen durchaus eine Herausforderung sein, doch es lässt einen auch nur wenig mit ihnen mitfiebern. Das ist insbesondere insofern tragisch, da auch Justin Yeagers Schicksal nicht mitreißt, obwohl er als Sohn von Jonathan die Leserschaft fesseln sollte. Dass es keinen einzigen Moment aus seiner Sicht gibt, oder aus der seiner Mutter Lydia, die in Lissabon am Krankenbett ihres Sohnes sitzt, ist unverständlich.
Mit den verschiedenen Erzählebenen, insbesondere derjenigen in den USA, wechselt der Autor immer wieder vom Ort des Geschehens an einen Schauplatz, der in diesem Moment nur wenig interessiert und in Form des US-Präsidenten am Ende auch keinerlei Auswirkungen hat.

Allerdings gibt es einen Abschnitt, der thematisch nicht zum Rest des Romans passen mag. In Anbetracht des geografischen Hintergrunds der Mission im Kongo und der Tatsache, dass von kämpfenden Truppen bereits zu Beginn der Geschichte erzählt wird, ist es nur folgerichtig, dass einer der Action-Höhepunkte auch eine Konfrontation mit einer Armee in Afrika beinhaltet. Dass es sich hierbei um Kindersoldaten handelt, verleiht dem an sich auf Unterhaltung ausgelegten Roman einen erschreckenden Realitätsbezug. Doch der Werdegang einer Person, den Autor Takano im Detail beschreibt, ist nicht nur grausam und furchtbar zu lesen, er ist schockierend, dass es einem beinahe den Spaß am Lesen nimmt. Hier hätte sich zweifellos eine andere Möglichkeit finden lassen können, die nicht in diesem Maße die Stimmung in den Keller reißt.

Wer sich die oben stehenden Informationen ansieht, wird sich fragen, weswegen dieser Kritiker die englische Übersetzung eines japanischen Romans lesen sollte, wenn auch eine deutsche Ausgabe erhältlich ist. Die Antwort ist so verblüffend wie einfach: Weil die deutsche Übersetzung auf der englischen Ausgabe anstatt dem japanischen Original basiert. Insofern stand lediglich die Überlegung im Raum, die Übersetzung einer Übersetzung zu lesen, oder die Übersetzung in der ersten Instanz.
Diese wartet der Story entsprechend mit vielen Fachbegriffen auf, zumal Autor Kazuaki Takano die Wirkung von Medikamenten auf zellularer Ebene erklärt. Doch lässt man die gelegentlichen Schreibfehler außer Acht, liest sich Extinction angenehm flüssig und überzeugt gerade in den Dialogen mit einer natürlichen Ausdrucksweise der Figuren. Dass Kento Koga und sein Freund Jeong-hoon Lee in regelmäßigen Abständen ihre Motivation erklären, nämlich dass sie mit dem Heilmittel, das sie entwickeln 100.000 Kinder von einer tödlichen Krankheit heilen wollen, wirkt jedoch arg dick aufgetragen.


Fazit:
Die Idee von Kazuaki Takanos Extinction ist nicht nur interessant, sie wird vom Autor auch in eine unvorhergesehene Richtung entwickelt. Dass sich die eigentliche Mission, das unbekannte Wesen zu töten, im Laufe des Romans vollkommen umkehrt, ist wenig überraschend. Wer tatsächlich im Hintergrund die Fäden zieht, dagegen durchaus und auch der Wettlauf mit der Zeit von Kento Koga bei der Entwicklung eines Heilmittels ist überaus spannend gelungen. Die vielen technischen Informationen, wie die Entwicklung von Medikamenten funktioniert, mag manche Leser langweilen, sie verleihen dem Roman jedoch das Flair eines Techno-Thrillers, ein Genre, das mir ausgesprochen gut gefällt. Stilistisch gestaltet sich der Lesefluss dadurch jedoch etwas holprig, wohingegen der unterschiedliche Rhythmus von englischsprachigen oder japanischen Dialogen überzeugt. Das Finale jedoch fand ich überaus enttäuschend. Weniger auf Grund des Aufbaus, statt auf Grund der Tatsache, dass es eben nicht auf mehreren Ebenen stattfindet, die im Vorfeld etabliert wurden, sondern geradlinig den Plan umsetzt, den die Graue Eminenz im Hintergrund vorgesehen hat. Ein überraschendes Element fehlt bedauerlicherweise ebenso wie ein richtiger Abschluss für Jonathan Yeager und seine Familie. Sein letzter Satz klingt beinahe, als wären sie ihm völlig egal. So ist Extinction für mich ein Thriller mit einer tollen Idee und einem starken Konzept, das aber nicht ganz hält, was es verspricht. Genrefans werden jedoch ihre Freude daran haben.