Patrick Lee: "Dystopia" [2010]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 04. Oktober 2014
Autor: Patrick Lee

Genre: Thriller / Action / Science Fiction

Originaltitel: Ghost Country
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 368 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 2010
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2012
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-0-06-158444-2


Kurzinhalt:
Zwei Jahre sind vergangen seit Travis Chase auf die Organisation Tangent traf und Paige Campbell half, eine Katastrophe zu verhindern. Damals erfuhr er, dass er in der Zukunft für etwas Schreckliches verantwortlich sein wird und entschloss sich, alles zu unternehmen, um das zu verhindern. Doch als sich die Tangent-Mitarbeiterin Bethany Stewart mit einem Hilferuf von Paige an ihn wendet, muss er sich entscheiden.
Ein Artefakt, das Bethany bei sich trägt, offenbart einen Blick mehr als 70 Jahre in die Zukunft. Die Welt in jener Zeit ist verwüstet und menschenleer. Um die globale Katastrophe zu verhindern, müssen sie verstehen, was sie verursacht. Doch Isaac Finn, einer der Drahtzieher hinter einem Anschlag auf Paige, will das mit allen Mitteln verhindern. Es beginnt ein Wettlauf, der in der zerstörten Welt in der Zukunft und in der Gegenwart ausgetragen wird, und bei dem nichts weniger als das Schicksal der Menschheit auf dem Spiel steht ...


Kritik:
Mit Dystopia legt Autor Patick Lee seine Fortsetzung zu Die Pforte [2009] vor, die zwei Jahre nach den Ereignissen ansetzt. Auch wenn der Roman eine eigene Geschichte erzählt, inhaltlich setzt er das Wissen, das Leser in Die Pforte erlangt haben, zwingend voraus. Hiermit in sein Universum um die Organisation Tangent und die Entitäten, die sie aus einem bei einem Experiment entstandenen Riss im Raum erlangen, einzutauchen, wäre nicht sinnvoll. Kenner des ersten Buches werden hingegen viele von den Stärken des Vorgängers wiederentdecken, aber auch manche Schwächen.

Positiv ist dabei zu sehen, dass die Geschichte nicht in dem Maße brutal geschildert ist wie die vorige. Das bedeutet nicht, dass Dystopia zimperlich mit Gewalt umgeht, doch gestaltet der Autor die Beschreibungen nicht so ausschweifend wie zuvor. Die Geschichte beginnt aus der Sicht von Paige Campbell, deren Autokorso angegriffen wird, nachdem sie den mächtigsten Mann der Welt von dem unterrichtet hat, was Tangent mit Hilfe des neuesten Artefakts erfahren hat. Vor ihrer Gefangennahme kann sie eine Nachricht an ihre Mitarbeiterin Bethany absetzen. Sie soll Travis Chase in seinem selbst gewählten Exil ausfindig machen, der sich im Verlauf des ersten Buches mehr als Antiheld, denn als Sympathiefigur herausgestellt hat. Das versucht Autor Lee nun zu korrigieren. Seine Einsicht in Bezug auf seinen Protagonisten kommt reichlich spät und scheint auch nicht bis zum Ende durchdacht, doch es macht den Roman zumindest zugänglicher in Bezug auf die Figuren. Bei denen konzentriert sich der Autor erneut auf eine Handvoll, doch wer vermuten würde, dass diese dann vielschichtig ausgearbeitet wären, der irrt leider.

Stattdessen führt Lee seinen Erstlingsroman auch stilistisch konsequent fort und legt von der ersten Seite an ein Tempo vor, bei dem man als Leser mit Umblättern kaum mithalten kann. Es ist, als kämen durch das enorm hohe Tempo die Charaktere nicht wirklich zum Zug.
Allerdings hätten der Story klassische Elemente der Geschichtenerzählung durchaus gutgetan, zum Beispiel in Bezug auf die Bösewichtsrolle. In Isaac Finn findet er einen Schurken, dessen einst edle Motive durch eine zermürbende Realität ins Extreme verkehrt wurden. Dem körperlich und in Waffenkunde überlegenen Chase kann er schlicht nicht das Wasser reichen, doch statt einen Helfer Finns vorzustellen, gegen den Travis antreten muss, verschleißt Patrick Lee die Nebenfiguren nach wenigen Auftritten in einer rasenden Geschwindigkeit. Ähnlich ergeht es ihm mit der sympathischen Bethany Stewart, die in den letzten 65 Seiten gar nichts mehr zu tun hat.

Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Entität, von der Tangent Besitz erlangt hat. Mit dem dunklen Zylinder lässt sich ein Tor etwas mehr als 70 Jahre in die Zukunft öffnen. Die Welt dort ist verwüstet, als wären die Menschen lange Zeit schon fort. Die Natur hat sich den Lebensraum zurückerobert. Hinweise deuten darauf, dass die Katastrophe, was immer es war, in wenigen Monaten der aktuellen Zeit stattfinden wird. Um die Hintergründe herauszufinden, müssen Travis, Bethany und Paige immer wieder zwischen der aktuellen Zeit und der Zukunft hin und her springen, dicht gefolgt oder bereits erwartet von Finns Schergen. Diese Abschnitte machen Dystopia überaus kurzweilig, da die Beschreibungen der postapokalyptischen Zukunft packend und greifbar gelungen sind. Was es dabei mit der Bedeutung von Yuma für das Schicksal der amerikanischen Bevölkerung auf sich hat und was sich in dem schicksalshaften "Trüben Dezember", wie ihn die Medien nennen werden, zutragen wird, gilt es zu entschlüsseln. Die Antworten darauf beinhalten wie bei Die Pforte ein Science Fiction-Element, das Lee vorstellt, ohne es zu sehr zu vertiefen. Das Ambiente des Techno-Thriller "light" bleibt Dystopia somit erhalten. Die Idee dahinter ist erschreckend genug, um Finns Plan so abwegig nicht scheinen zu lassen, auch wenn sich der Roman um wirkliche Erklärungen im letzten Drittel drückt.

War das Ende von Die Pforte noch recht offen, erscheint Dystopia abgeschlossener. Die große Hintergrundgeschichte um Travis Chases Schicksal spielt wieder eine Rolle, ohne wirklich vorwärts gebracht zu werden. Es bleibt abzuwarten, ob der dritte Roman der Reihe hier mehr Antworten liefern wird.

Sprachlich hält sich Patrick Lee wie bisher auch für Einsteiger leicht verständlich und beschränkt sich bei den wissenschaftlichen Beschreibungen auf die unbedingt notwendigsten Fachbegriffe. Gleichzeitig wiederholt er jedoch bestimmte Ausdrücke auf einer Seite mehrmals, so dass manch ein Leser im Geist Sätze umformen wird, um sie flüssiger klingen zu lassen.


Fazit:
In gewisser Hinsicht ist Dystopia empfehlenswerter als der Vorgänger Die Pforte. Die Geschichte um ein Artefakt, das in eine zerstörte Zukunft weist und die brotkrumenartigen Hinweise, denen die Helden folgen müssen, um das Rätsel im Hier und Jetzt zu lösen und die Katastrophe zu verhindern, packen auch durch die lebendige Erzählung, die wie beim letzten Roman eine mitreißende Geschwindigkeit entwickelt. Zwar gestaltet Autor Patrick Lee seine Helden hier heldenhafter und weniger radikal, doch fehlt es Travis Chase nach wie vor an Charisma oder überhaupt einem greifbaren Profil. Er besitzt ebenso wenig bestimmende Merkmale, an denen man ihn erkennen würde, wie alle übrigen Beteiligten.
Dafür gelingen die filmreifen und ebenso packenden Actionszenen, die Lee teils aus mehreren Blickwinkeln aufbaut, um sie in einem schweißtreibenden Szenario zu entladen. Die Idee und deren Möglichkeiten, die der Autor hier in einem düsteren Schreckensszenario vorstellt, sind dabei überaus greifbar und erstaunlicherweise nicht so abstrus, wie man vermuten würde. Als reine Unterhaltung erzählt, bleibt bei mir allerdings der Eindruck, dass er durch die fehlende Erklärung der dahinterliegenden Technologie Potential ungenutzt lässt, um dem Plan des Bösewichts weiter Gewicht zu verleihen. Dies wie bei Die Pforte mit wenigen Worten und einen Kommentar der Hauptfigur abzutun, dass sie selbst nicht viel davon verstehe, klingt eher nach einer Ausrede. Was bleibt ist ein packender, schneller Actionthriller mit oberflächlichem Science Fiction-Anteil, der ohne den ersten Teil nicht funktioniert, ihm aber auch in nichts nachsteht.