Robert Ludlum: "Die Bourne Identität" [1980]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. August 2006
Autor: Robert Ludlum

Genre: Thriller / Action

Originaltitel: The Bourne Identity
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 403 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1980
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1981
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-75286-039-9


Kurzinhalt:
Sein Leben beginnt an sich erst, als er von Fischern im Mittelmeer treibend und mit Schusswunden übersäht geborgen wird. Die Seemänner bringen ihn zu einem Arzt, der den namenlosen Patienten pflegt und seine Wunden versorgt. Eine tief gehende Kopfverletzung scheint der Auslöser für seinen Gedächtnisschwund – ohne Namen, ohne Vergangenheit ist der einzige Anhaltspunkt jenes hoch intelligenten, und in Sprachen versierten Patienten, um nach seiner Identität zu suchen ein Implantat in seiner Hüfte.
So macht er sich nach sechs Monaten auf, dem Hinweis den Implantats nach Zürich zu einem Bankschließfach zu folgen. Hier erfährt er, dass sein Name Jason Bourne lautet. Eine weitere Erkenntnis wartet auf ihn: Männer trachten ihm nach dem Leben, und neben seinen Unterlagen wartet eine große Geldsumme in Zürich auf ihn. Nachdem Bourne ungeahnte Fähigkeiten in der Verteidigung und um Angriff unter Beweis stellt, beginnt seine Flucht vor den unbekannten Männern, die seinen Tod wollen.
Hin und her gerissen von Instinkt und Furcht nimmt Jason auf seinem Weg aus Zürich heraus die junge Marie St Jacques als Geisel, als Lebensversicherung, und reißt sie damit hinein in die Suche nach seiner Vergangenheit. In diese scheint auch der international agierende Auftragskiller Carlos verwickelt zu sein – und Geheimorganisationen in den USA. Als wäre dies nicht schon überwältigend genug, kristallisiert sich mit jeder neuen Erkenntnis eine Gewissheit weiter heraus: Jason Bourne war selbst ein Auftragsmörder – oder ist es noch ...


Kritik:
Bereits im TV-Mehrteiler Agent ohne Namen [1988] feiert Jason Bourne sein Filmdebüt, erlebte aber erst 14 Jahre später seinen großen Erfolg, als der Bestseller-Roman, hierzulande unter dem Titel Der Borowski-Betrug [1980] bekannt, neu verfilmt wurde. Dies nahmen die hiesigen Verlagen auch zum Anlass, das Buch unter dem neuen Filmtitel, Die Bourne Identität neu zu veröffentlichen, die beiden Fortsetzungen sollten folgen.
Dass der am 25. Mai 1927 in New York geborene Robert Ludlum zu einem der erfolgreichsten Autoren seiner Zeit avancieren würde, war zu Beginn seiner Karriere noch nicht absehbar. Ehe alle 22 seiner veröffentlichten Werke auf Platz eins der New York Times Bestsellerlisten kletterten, trat der damals 16jährige Ludlum am Broadway auf, war von 1945 bis 47 im U.S. Marine Corps. im Südpazifik stationiert und produzierte von den 1950ern ab mehrere Hundert Stücke am Broadway. Seinen ersten Roman veröffentlichte er im Alter von 44 Jahren und erzielte auf Anhieb einen überwältigenden Erfolg. Im März 2001 starb er überraschend an einer Herzattacke, hatte allerdings so viele Aufzeichnungen und Skripte hinterlassen, dass der Verlag auch nach seinem Tod neue Romane veröffentlichen konnte, und andere Bücher von Ghostwritern nach seinen Vorlagen fertigen ließ. In 32 Sprachen übersetzt, verkauften sich bislang mehr als 200 Millionen Exemplare seiner Bücher.

Wie in vielen seiner Werke, widmet sich Robert Ludlum in Die Bourne Identität der Welt der Spionage, zeigt die Tätigkeiten der verschiedenen Organisationen, der Geheimaufträge und Agenten allerdings ohne den Pathos, der beispielsweise Tom Clancys Werken anhaftet, und weitaus schmutziger, als es beispielsweise bei James Bond der Fall ist.
Inhaltlich gestaltet sich der Einstand in die Trilogie um den zunächst Namenlosen vor allem eines: unvorhersehbar. Selten zuvor überraschte ein Roman mit derart plötzlichen Wendungen und Erkenntnissen, die nicht nur den Leser, sondern auch die Hauptfigur selbst schocken und verwirren. Mit jedem neuen Puzzleteil, das Jason Bourne auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit aufdeckt, kristallisiert sich ein klareres Bild heraus, das wenig später durch Dialoge fern ab Europas wieder revidiert wird, ohne dass Bourne selbst davon wüsste. Dieser Spagat, die Tatsache, dass der Profikiller Carlos und seine international operierende Organisation Bourne immer einen Schritt voraus ist, und die Improvisationskunst, mit der Jason sowohl die täglichen Kleinigkeiten, als auch die brenzligen Situationen meistern muss, machen den Reiz der Geschichte aus, ebenso wie die durchaus interessante Frage, ob jemand ohne Erinnerungen durch das Wiedererlangen seiner Vergangenheit ein anderer Mensch werden kann, oder nicht.
Ludlum spielt mit diesem Gedanken, lässt neu erlernte Wesenszüge Bournes ebenso durchblitzen, wie das Folgen bekannter Muster, das Einsetzen seiner speziellen Fähigkeiten, und gestaltet ihn damit so gespalten wie kaum eine Romanfigur in jenem Genre. Inhaltlich bewegt sich Die Bourne Identität mit traumwandlerischer Sicherheit auf einem Terrain, das dem Leser gerade durch die vertrauten Elemente so neuartig und mehrschichtig erscheint. Er verfrachtet das Agenten-Milieu von den glänzenden Hochhäusern und Industrieanlagen weg, hinein in den Alltag der Menschen – und lässt so die Phantasie der Leser für sich arbeiten.

Obgleich beinahe jede Figur im Roman einen Hintergrund zugeschrieben bekommt, der auch in den einzelnen Szenen weiter ausgebaut wird, gibt es doch nur zwei wirkliche Hauptfiguren, von denen Marie St Jacques sicherlich die schmerzhafteste Wandlung im Roman durchmacht.
Bourne selbst, entsteht buchstäblich vor den Augen des Lesers, wird geformt und neu modelliert, um Facetten bereichert und um Erfahrungen ergänzt, neu definiert und immer wieder verfeinert, ehe sich schließlich herausstellt, wer er wirklich ist.

Hieraus zieht Ludlum auch den immer weiter angespannten Spannungsbogen, der für den Leser immer wieder die Überraschung bereit hält, in welche Richtung sich Bourne als nächstes entwickeln, als nächstes bewegen wird. Die Höhepunkte bilden dabei die zahlreichen Actioneinlagen, die in den unwahrscheinlichsten Momenten entstehen und trotz der ähnlichen Abläufe nie langweilig oder langwierig geraten. Dadurch zieht Ludlum auf faszinierende Weise am Tempo, hetzt alle Beteiligten über die Seiten und gibt erst im Nachhinein die Gelegenheit, über die neuen Offenbarungen um Bournes Identität zu reflektieren.

Sprachlich ist Die Bourne Identität gut gelungen, die Dialoge – von den gefühlsbetonten und etwas aufgesetzten Unterredungen zwischen Marie und Jason einmal abgesehen – wirken natürlich und überaus plastisch; Ludlums Wortwahl macht den Roman auch für diejenigen auf Englisch lesenswert, die in der Sprache bislang nicht in dem Maße vertraut sind, auch wenn es verwundert, dass die zahlreichen deutschen und französischen Worte und Sätze meist nicht zusätzlich übersetzt sind.
An der sprachlichen Umsetzung gibt es ebenso wenig zu bemängeln, wie am Rest des Agenten-Thrillers, der sich auf Grund des beschriebenen Milieus und des doch nicht zu unterschätzenden Gewaltgrades (auch von Seiten des Helden aus) eindeutig an eine erwachsene Leserschaft richtet. Die verschachtelten Zusammenhänge sind zwar schwierig zu durchschauen, werden aber genügend aufgelöst, um die Hintergrundstory schlüssig zu gestalten.
Dank des rasenden Tempos, der packenden, weil unvorhersehbaren Geschichte und einer ebenso bemitleidenswerten wie stellenweise beängstigenden Hauptfigur, ist The Bourne Identity für Fans von Agententhrillern sehr empfehlenswert, auch wenn man sich auf den realistischeren Ansatz einlassen, und mit einer Hauptfigur Vorlieb nehmen muss, die von den eigenen Taten so schockiert ist, wie der Leser selbst.


Fazit:
Was an Ludlums Einstand ins Bourne-Universum vielleicht am meisten verblüfft ist die Tatsache, wie ungeschönt und realistisch der Autor das Agenten-Dasein schildert. Von den technischen Spielereien und Hochglanz-Umgebungen eines James Bond ist hier nichts zu sehen, und auch die Figuren sind weitaus komplexer und düsterer angelegt, als es in vielen anderen Genrevertretern. Dass dies auch vor dem Hauptcharakter nicht Halt macht, ist beeindruckend, zumal Jason Bourne damit nie zu der Heldenfigur wird, die man in ihm zuerst vermutet hätte.
Wieviel Action Robert Ludlum in seinen 400 Seiten unterbringt, ist eindrucksvoll, und auch wenn die einzelnen Szenen nicht so groß oder brandgefährlich sind, wie bei dem berühmten Doppelnull-Agenten, schießt und kämpft sich Bourne seinen Weg durch Europa, immer auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit und immer mehr überwältigt von den Erkenntnissen,die sich ihm offenbaren. Ihm dabei zu folgen machte für mich den Reiz des Buches aus, auch wenn es in gewissem Sinne bedauerlich ist, dass nach einer langen Vorbereitung, einer aufgestellten und wohl erdachten Falle das klärende Gespräch nur zwei Seiten dauert, wohingegen im ersten Drittel eine Gruppe von Menschen vorgestellt und beleuchtet wird, die fortan keine Rolle mehr spielen dürfen. Auch die Dialoge zwischen Marie und Jason bewegen sich nicht auf höchstem Niveau, wohingegen man sich in den immer wieder als Schlagsätze wiederholten Aussagen Jasons weiter verliert.
Die Mischung aus hartem Agenten-Thriller und Action-Story ist dem Autor gut gelungen und fesselt durch die komplexen Verstrickungen, die aber nicht verworren, sondern lediglich verwirrend geraten sind. Dass Die Bourne Identität dabei auf eine Fortsetzung ausgelegt ist, verwundert nicht – man fragt sich nur, ob eine Konfrontation zwischen Carlos und Bourne je in etwas anderem als einem Unentschieden enden kann. Spätestens nach der zweiten Fortsetzung wird sich diese Frage geklärt haben.