Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds and Snakes [2023]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 10. November 2023
Genre: Unterhaltung / Science Fiction

Originaltitel: The Hunger Games: The Ballad of Songbirds and Snakes
Laufzeit: 157 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Francis Lawrence
Musik: James Newton Howard
Besetzung: Tom Blyth, Rachel Zegler, Josh Andrés Rivera, Hunter Schafer, Viola Davis, Peter Dinklage, Jason Schwartzman, Fionnula Flanagan, Burn Gorman, Ashley Liao, Max Raphael, Zoe Renée, Nick Benson, Isobel Jesper Jones, George Somner


Kurzinhalt:

Zusammen mit seiner Cousine Tigris (Hunter Schafer) ist Coriolanus Snow (Tom Blyth) in den Ruinen des Kapitols von Panem groß geworden. Der Aufstand der Distrikte war zwar niedergeschlagen worden, aber viele haben alles verloren. So auch die einst mächtige Familie Snow. Als Waise ist es Coriolanus’ Ziel, ein Stipendium zu erlangen, damit er studieren und seinem Vater nacheifern kann. Doch im Jahr seines Abschlusses entscheidet sich Dekan Highbottom (Peter Dinklage) für einen anderen Vergabeprozess. Anstatt das Stipendium an die besten Noten zu knüpfen, müssen sich die Kandidatinnen und Kandidaten in den Hungerspielen engagieren. Die werden seit 10 Jahren veranstaltet und jeder der zwölf Distrikte muss zwei Tribute stellen, die anschließend in einer Arena ums Überleben kämpfen. Coriolanus soll sich zusammen mit den anderen Schülerinnen und Schülern als Mentor für ein Tribut engagieren. Ihm wird die rebellische Lucy Gray Baird (Rachel Zegler) zugelost, die augenscheinlich keine Chance auf den Sieg hat. Doch Coriolanus ist bereit, alles zu tun, um sein Ziel zu erreichen und erlangt damit auch die Aufmerksamkeit der Spielleiterin Dr. Volumnia Gaul (Viola Davis). Dass sein Freund und Mitschüler Sejanus Plinth (Josh Andrés Rivera) Coriolanus’ Erfolg in Gefahr bringt, ist ihm zunehmend ein Dorn im Auge …


Kritik:
Angesiedelt 64 Jahre vor den Ereignissen der bisherigen Filme der Reihe, erzählt Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds and Snakes weniger die Vorgeschichte der Spiele selbst, als des späteren Präsidenten Coriolanus Snow. Dabei richtet sich Filmemacher Francis Lawrence sowohl an bestehende Fans der Reihe, wie auch an ein neues Publikum. Im ersten Drittel funktioniert die Vorstellung dieser düsteren Welt erstaunlich gut, doch nach einem langen Mittelteil, ist es der letzte Akt, der so unpassend wie aufgesetzt erscheint.

Zusammen mit seiner Cousine Tigris ist Coriolanus in den Ruinen einer dunklen Zeit aufgewachsen. Der Aufstand der Distrikte gegenüber dem Kapitol wurde zwar zurückgeschlagen, doch die Zerstörung und die Verluste waren unermesslich. So auch bei der Familie Snow, die verarmt in ein neues Zeitalter startet. Als Waise aufgewachsen, hofft Coriolanus auf ein Stipendium, das als Plinth-Preis dem besten Abschlussschüler zufällt. Doch zum zehnjährigen Jubiläum der Hungerspiele, die gleichermaßen als Bestrafung für die Distrikte gedacht sind, die jeweils zwei Tribute (Kinder bzw. Jugendliche) stellen müssen, die anschließend um ihr Leben gegeneinander kämpfen, wie als Warnung an die Menschen im Kapitol, wie knapp sie der Vernichtung entgangen sind, plant Dekan Highbottom, der auch die Hungerspiele erfunden hat, eine Änderung. Um die rückläufigen Zuschauerzahlen zu verbessern, sollen die besten Schülerinnen und Schüler je ein Tribut der Distrikte als Mentor bzw. Mentorin begleiten.

Im Grunde beschreibt The Ballad of Songbirds and Snakes, so passend der Titel am Ende auch ist, den Aufstieg und Fall von Coriolanus Snow, der in den Jahrzehnte später spielenden Filmen von Donald Sutherland verkörpert wird. So sehr der Überlebenskampf des ihm aus Distrikt 12 zugelosten Tributs, der rebellischen Lucy Gray Baird, das Publikum fesselt, sein Werdegang, seine Person, steht im Zentrum. Denn um das Stipendium zu erhalten und seine Familie davor zu bewahren, ihr Zuhause zu verlieren, reicht es nicht, dass sein Tribut die Spiele gewinnt. Vielmehr muss es dem Publikum das größte Spektakel bieten, wie Spielemacherin Dr. Volumnia Gaul ihm erklärt. Dabei scheint Coriolanus anfangs nicht nur oberflächlich an Lucys Schicksal interessiert. Beide haben eine Verbindung miteinander, bauen Vertrauen zueinander auf.
Wie wird aus einem mitfühlenden jungen Mann, der selber die Schrecken des Krieges miterlebt und gesehen hat, was Menschen angesichts der Gräuel bereit sind, zu tun, zu dem empathielosen Herrscher, der er später ist?

Die Frage stellt The Ballad of Songbirds and Snakes zwar, eine Antwort liefert die Geschichte jedoch nicht. Zu plötzlich kommt die Wandlung von Coriolanus, der zwar durchaus als ambitioniert vorgestellt wird und in die Fußstapfen seines einst mächtigen Vaters treten will. Doch skrupellos scheint er anfangs zumindest nicht. Gegliedert in drei Teile, erzählt Filmemacher Francis Lawrence die Chronik des späteren Präsidenten. Wobei jedes dieser drei Kapitel inhaltlich ein eigenes Ziel verfolgt. Selbst wenn die einzelnen Teile inhaltlich aufeinander aufbauen und die Wegstationen des jungen Snow begleiten, sind es doch in gewisser Hinsicht voneinander unabhängige Erzählungen. Darin eingebettet sind durchaus aktuelle und wichtige Themen. Angefangen davon, dass die Ärmsten in den Hungerspielen gegeneinander aufgehetzt werden, so dass sie sich nicht gegen die herrschende Kaste auflehnen. Oder aber Bezüge zum Klassendenken und Vorurteilen, dem Blick unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten aufeinander. Es würde helfen, Coriolanus einschätzen zu können, wüsste man, wie er sich zu diesen Aspekten positioniert, doch steht er stets zwischen Menschen, die unterschiedliche Ansichten vertreten, ohne selbst jemals Partei zu ergreifen.

Für die tragende Figur der Geschichte bleibt Coriolanus Snow zu distanziert und unnahbar, was sich auch in einer Darbietung widerspiegelt, die – nach außen hölzern – nicht hinter die Fassade blicken lässt. Dementgegen gewinnt Rachel Zegler als Lucy Gray Baird trotz keiner nennenswerten Charakterisierung das Publikum merklich für sich und auch Viola Davis findet sichtlich Gefallen an ihrer finsteren Rolle. Sie veredeln eine Erzählung, die auch dann kaum an Tempo gewinnt, wenn die Hungerspiele beginnen und der Mittelteil merklich mehr Zeit in Anspruch nimmt, als notwendig wäre. Es erweckt beinahe den Eindruck, als wäre Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds and Snakes als mehrteilige Mini-Serie konzipiert und dann auf die Lauflänge eines Kinofilms kondensiert worden. Auch die oft auffälligen Trickeffekte, die die Welt von Panem zum Leben erwecken, erinnern eher an Serien, denn einen Kinofilm mit einem so großen Budget wie hier.

Das klingt bislang sehr negativ, dabei ist Regisseur Lawrence Vieles durchaus gelungen. Das Design, das gewissermaßen eine moderne Version der Technik der 1950er-Jahre widerspiegelt, gefällt ebenso, wie die Darstellung dieser Gesellschaft einen betroffen macht, in der nicht nur die Auswahl der Tribute entwürdigend zur Schau gestellt wird, sondern diese von den Bessergestellten im Kapitol nicht einmal als Menschen wahrgenommen werden. Selbst wenn nie deutlich wird, welche Schlüsse Coriolanus daraus zieht, erlebt er doch beide Seiten hautnah. Auch die Musik von James Newton Howard ist tadellos und die handwerkliche Umsetzung zeichnet The Ballad of Songbirds and Snakes ebenso aus. Es ist bedauerlich, dass dies alles nicht von einer mitreißenderen Geschichte zusammengehalten wird.


Fazit:
Man mag sich an Details stören, wie der Tatsache, dass die Armut, in der die Menschen in den Distrikten und die Tribute leben, allenfalls an ihren verschmutzten Gesichtern zu sehen ist, während sie alle makellos gekleidet sind und sich dies auch mit Beginn der Hungerspiele nicht ändert. Ebenso wird nie deutlich, wie sich unter ihnen eine Gruppe bildet, die Lucy Gray Baird als erstes ins Visier nimmt. Immerhin funktioniert die Storyentscheidung insofern, dass ihr Abschnitt in der Arena der packendste der zweieinhalb Stunden dauernden Erzählung ist. Der Rest ist zumindest überwiegend interessant und Coriolanus Snow wäre als Figur durchaus facettenreich genug, dass man seinem Aufstieg und Fall folgen wollte, doch wird er mit seinen Hoffnungen und Überzeugungen nie greifbar. Seine Wandlung kommt dann zu plötzlich, als dass man davon mitgenommen würde. Mit der Konzentration auf eine bekannte Figur, die in diesem Kontext durchaus vertieft wird, bietet Die Tribute von Panem - The Ballad of Songbirds and Snakes nicht nur eine Erweiterung jenes Universums für bestehende Fans, sondern auch einen guten Einstieg für diejenigen, die es werden wollen. Das ist im Bereich der Prequels gelungener, als viele andere, man würde sich nur wünschen, dass die Story mitreißender erzählt wäre, die sich auf Grund der gezeigten Brutalität für ein junges Publikum nicht eignet. Dabei hätte es sich womöglich sogar angeboten, die Chronik auf zwei Filme aufzuteilen.