Cyrano [2021]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 18. Januar 2022
Genre: Drama / Musik / Liebesfilm

Originaltitel: Cyrano
Laufzeit: 124 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA / Kanada
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Joe Wright
Musik: Aaron Dessner, Bryce Dessner
Besetzung: Peter Dinklage, Haley Bennett, Kelvin Harrison Jr., Ben Mendelsohn, Bashir Salahuddin, Ray Strachan, Monica Dolan, Anjana Vasan, Ruth Sheen


Kurzinhalt:

Frankreich im 17. Jahrhundert. Schon seit jeher ist der eloquente Cyrano de Bergerac (Peter Dinklage) in Roxanne (Haley Bennett) verliebt. Doch der kleinwüchsige Cyrano wagt es nicht, ihr seine Liebe zu gestehen aus Furcht, sie würde ihn auf Grund seiner Statur ablehnen. Dabei macht Graf De Guiche (Ben Mendelsohn) der bildschönen Roxanne bereits den Hof, wobei sein Angebot für sie einzig aus finanzieller Not heraus verlockend klingt. Den Grafen selbst lehnt sie ab. Dann tritt Christian de Neuvillette (Kelvin Harrison Jr.) in Roxannes Leben und beide sind verzückt voneinander. Doch Roxanne erwartet einen Mann, der sie mit Liebesbriefen umwirbt, während Christian, künftig Gardist im Regiment von Cyrano, seine Liebe nicht in ansprechende Worte zu fassen vermag. So versorgt Cyrano Christian mit Liebesbriefen für Roxanne, die glaubt, sie kommen von ihrem jungen Verehrer. Dabei verliebt sich Roxanne in Wirklichkeit in den Geist, der ihr diese Briefe schenkt, während De Guiche, mit der Entscheidungsgewalt des Königs beauftragt, bereit ist, seine Macht zu benutzen, um alle Männer fernzuhalten, die Roxannes Herz erzobern könnten …


Kritik:
Joe Wrights Musical-Drama Cyrano ist keine Biografie der gleichnamigen historischen Person Cyrano de Bergerac, sondern eine Adaption des französischen Versdramas von Edmond Rostand, das heuer 125 Jahre alt wird. Solche Adaptionen gab es einige und das Thema der gutherzigen und wortgewandten Hauptfigur mit einer körperlichen Auffälligkeit, die unsterblich in eine wunderschöne Frau verliebt ist und deshalb Liebesbriefe an sie für ihren gut aussehenden Verehrer schreibt, wurde unzählige Male aufgegriffen. Hier ist es einerseits die Besetzung, die aufhorchen lässt, andererseits die Herangehensweise eines Musicals an die Geschichte. Ersteres ist sehr gelungen, letzteres nicht ganz so sehr.

Es gibt Musicals, die sämtliche Dialoge in gesungener Form vortragen und solche, in denen nur bestimmte Schlüsselelemente durch Lieder ausgedrückt werden. Cyrano ist über weite Strecken nicht gesungen und mitunter ist die Entscheidung, welche Abschnitte als Lied zum Leben erweckt werden, nicht ganz nachvollziehbar. Die einzelnen musikalischen Themen wiederholen sich dabei, Reprisen werden später im Film zusammengeführt und gerade in den allerletzten Szenen scheint der Song unnötig aufgesetzt. Das liegt allerdings nicht am Talent, das hier vor der Kamera vereint ist. Anstatt wie für gewöhnlich auf Cyranos große Nase als gesellschaftlich attestierten Makel zu setzen, wird die Figur hier durch den kleinwüchsigen Peter Dinklage verkörpert. Die teils heute noch fehlende gesellschaftliche Akzeptanz für Menschen seiner Statur, macht es umso greifbarer, wie belastend für seinen Cyrano die Situation im Frankreich des 17. Jahrhunderts gewesen sein muss. Umso gelungener ist seine Einführung, wenn er mit seiner sprachlichen Eloquenz ein voll besetztes Theater für sich einnehmen kann und einen berühmten Schauspieler auf der Bühne in die Flucht schlägt, noch ehe das Kinopublikum ihn überhaupt zu Gesicht bekommen hat.

Doch Cyranos Herz schlägt nicht für die Lyrik, sondern für Roxanne, seine älteste Freundin, jünger als er und aufgewachsen in derselben Stadt. Roxanne steht kurz vor dem finanziellen Ruin, den eine Heirat mit dem betuchten Graf De Guiche abwenden könnte. Doch Roxanne liebt den Mann nicht und ziert sich gleichermaßen vor einer Zu- wie einer Absage, als sie in der Menge in jenem Theater zu Beginn den Gardisten Christian de Neuvillette erblickt und sich in ihn verliebt. Auch er hat sich in Roxanne verliebt, zum Leidwesen von Cyrano, in dessen Regiment Christian künftig Dienst verrichten wird. Cyrano beschreibt das vielleicht klassischste Liebesdrama, das es gibt, mit vier Figuren, die alle verliebt sind – und keine davon glücklich. Denn die gebildete Roxanne sucht einen intellektuellen Partner, von dem sie sich Liebesbriefe wünscht, die Christian ihr nicht geben kann, denn er kann sich nicht gut ausdrücken. Cyrano ist wortgewandt, fürchtet aber, dass würde er Roxanne seine Liebe gestehen, sie ihn nicht akzeptieren würde auf Grund seiner Körpergröße. So liefert er Christian wunderschöne Liebesbriefe an Roxanne, ist der Geist für Christians Körper, den Roxanne begehrt. Während Graf De Guiche glaubt, Anspruch auf sein persönliches Glück zu haben und in der Machtposition ist, die Soldaten Cyrano und Christian aus dem Weg zu drängen, als er bemerkt, dass er Roxannes Herz nicht erobern kann.

Inhaltlich hält sich Wright an die literarische Vorlage, gibt seinen Figuren Dialoge vor, die von ausdrucksstark bis zynisch reichen, wenn Roxannes Zofe Marie ihr eindringlich zur Heirat mit De Guiche rät und sagt, „Kinder brauchen Liebe, Erwachsene brauchen Geld“. Vor allem aber sind die Dialoge (wenigstens im Englischen Original) sprachlich elegant, insbesondere bei Cyrano mit Sprachbildern und Ausschmückungen versehen, dass die Opulenz des Wortschatzes jener Zeit geradezu greifbar wird, trotz mancher Anachronismen. Dieses Niveau hält Cyrano zwar nicht vollständig, aber überwiegend, was offenkundige Versäumnisse wie die im Paris vor hunderten Jahren auf Englisch geschriebenen Schriftstücke nur umso unpassender erscheinen lässt. Nichtsdestotrotz gewinnt Regisseur Joe Wright, ungeachtet der teils temporeichen Choreografie in den Liedern, manchen Momenten, wie wenn Roxanne ihren ersten Liebesbrief in Händen hält, eine Sinnlichkeit ab, die für eine knisternde Atmosphäre sorgt. Die Besetzung, allen voran die drei Hauptakteure Peter Dinklage, Haley Bennett und Kelvin Harrison Jr. harmonieren hervorragend zusammen und bringen die sie verzehrende Sehnsucht fantastisch zum Ausdruck. Dass Dinklage und Bennett zudem über ein solches Gesangstalent verfügen, ist eine unerwartete Überraschung. Umso bedauerlich ist, dass Nebenfiguren wie der von Ben Mendelsohn durchaus überzeugend und verbittert verkörperte De Guiche trotz des Potentials kaum etwas zu tun bekommen. Hier lässt die Adaption viel Potential ungenutzt und das auf eine Art und Weise, dass man sich fragt, ob stärkere Abweichungen vom Quellmaterial hier nicht angebracht gewesen wären.


Fazit:
Hinsichtlich der Kostüme und Kulissen kann man Filmemacher Joe Wright keine Vorwürfe machen, wobei das letzte Drittel spürbar mehr Studioflair versprüht. Woran sich die Geister hier sicher scheiden werden ist die Frage, ob die Geschichte auch mit denselben Beteiligten hätte besser und stringenter erzählt werden können, wenn es kein Musical wäre? Manche Songs sind nicht nur eingängig, sondern bringen die Figuren und ihre Gefühlswelt toll zur Geltung, andere hingegen scheinen den jeweiligen Moment und dessen Aussage nur hinauszuzögern. Dass das Lied der in die Schlacht ziehenden Soldaten so mitnimmt, ist unerwartet, aber da auch über Christians Vergangenheit (ebenso wie De Guiches) kaum etwas verraten wird, nimmt ihr Schicksal schlussendlich kaum mit oder wird überhaupt nicht erläutert. Nicht einmal das von Cyranos Weggefährten Le Bret. Eindrucksvoll und sehenswert gespielt, ist Cyrano eine mit sichtlich viel Engagement zum Leben erweckte Adaption mit vielen gelungenen wie auch berührenden Momenten und Offenbarungen der beiden tragenden Figuren. Aber ohne sich dem dramatischen Musical ganz hinzugeben, oder alternativ ein lyrisch erzähltes Liebesdrama zu präsentieren, verlieren sich die guten und flott erzählten Ansätze oft in zu langen Szenen, deren emotionale Zugkraft zu wünschen übrig lässt. Das macht dies nicht zu einem schlechten Erlebnis. Nur zu einem nicht so erfüllenden, wie man es von dieser Ode an die Liebe erhofft hätte.