Arctic [2018]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 24. Februar 2020
Genre: Drama

Originaltitel: Arctic
Laufzeit: 98 min.
Produktionsland: Island
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Joe Penna
Musik: Joseph Trapanese
Besetzung: Mads Mikkelsen, Maria Thelma Smáradóttir, Tintrinai Thikhasuk


Kurzinhalt:

Seit einem Flugzeugabsturz ist Overgård (Mads Mikkelsen) irgendwo in der Arktis gestrandet. Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben. Wenn das Wetter es zulässt, verlässt er das Wrack, in dem er sich eingerichtet hat, und versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Seine Erkundungen der Umgebung lassen aber erahnen, dass die nächste Arktisstation mehrere Tagesreisen entfernt ist. Als nach einem unerwarteten Signal ein Helikopter vor seinen Augen abstürzt, findet sich Overgård in einer neuen Situation: Die Ko-Pilotin (Maria Thelma Smáradóttir) kann er schwerverletzt bergen, doch ohne medizinische Hilfe wird sie nicht überleben. So nimmt er es auf sich, die Reise zur nächsten Station durch das ewige Eis anzutreten, mit ihr auf einer Bare. Von seinem Erfolg hängt so nicht nur sein Leben ab …


Kritik:
Das Überlebensdrama Arctic ist der erste Spielfilm von Regisseur Joe Penna. Er hätte sich kaum ein schwierigeres Thema aussuchen können, wird der Film doch hauptsächlich von einer Figur getragen, die nur wenige Dialogzeilen zum Ausdruck bringen darf. Gleichzeitig hätte er sich kaum eine bessere Besetzung für diese Figur wünschen können. Mads Mikkelsen verkörpert die Geschichte eines Mannes, der in einer der unwirtlichsten Gegenden der Welt um sein Leben kämpft, in einer sehenswerten Tour de Force, selbst wenn das Drehbuch seinen Anstrengungen nur selten gerecht wird.

Mikkelsen schlüpft in die Rolle von Overgård, der allein irgendwo in der Arktis gestrandet ist. Er lebt in dem Wrack des Flugzeugs, mit dem er hierher gekommen ist, und hat sich eine gewisse Routine angeeignet. So kümmert er sich darum, ein Hilfesignal, das er im Eis angebracht hat, aus der Luft lesbar zu halten. Mit behelfsmäßigen Angeln holt er sich Fische aus dem eisigen Meer und verbringt die Nachmittage mit den Versuchen, an unterschiedlichen Orten Signale von Flugzeugen oder Helikoptern zu empfangen, um auf sich aufmerksam machen zu können. Wie lang er dort bereits ist, verrät Penna nicht, selbst wenn die Vermutung naheliegt, dass es zwischen einigen Wochen und einigen Monaten sein muss. Auch trifft Arctic keine Aussagen, weshalb er überhaupt in der Arktis ist, woher er weiß, in diesen lebensfeindlichen Bedingungen zu überleben, oder ob er eine Familie hat, zu der er zurückkehren will. Dies würde seinen Kampf irgendwie greifbarer machen, obwohl das Skript diesen Umstand gewissermaßen auslagert. Andererseits kann sich das Drama so auf den Überlebensinstinkt an sich konzentrieren, ohne ihn zu beeinflussen.

Die Idee eines Cast Away – Verschollen [2000] im Eis klingt vielversprechender, als es letztlich umgesetzt ist, was auch daran liegen mag, dass die Hauptfigur überaus schweigsam ist. Erst, wenn Overgård nach einem Helikopterabsturz, den die Ko-Pilotin schwerverletzt überlebt, jemanden hat, für die er sorgen und bei all seinen Handlungen berücksichtigen muss, dass er sie gleichermaßen zu retten hat wie sich selbst, entwickelt das bis dahin faszinierende Drama eine spürbare Spannung. Dass die irgendwann in der Frage gipfelt, ob Overgård die über weite Strecken bewusstlose Frau zurücklässt und sich selbst rettet, oder seinen Selbsterhaltungstrieb hintenanstellt, überrascht nicht. Die Antwort darauf hingegen schon.
Wäre es nicht um Mads Mikkelsen, würde die gesamte Herangehensweise der Story vermutlich nicht funktionieren. Doch seine Darbietung ist ebenso rau wie packend, die Verzweiflung in seinen Augen auch ohne Dialoge spürbar. Dem Kampf des Menschen gegen die Elemente der Natur ist er in vielen Situationen schutzlos ausgeliefert und mitanzusehen, wie der Funke an Überlebenswillen merklich schwächer wird, sichtlich tragisch. Es ist eine fantastische, preiswürdige Darbietung, bei der man sich gar nicht vorstellen mag, wie viel gespielt und wie viel tatsächlich bei den zweifelsfrei schwierigen Drehbedingungen so erlebt ist.

Allerdings muss sich das Drama durchaus zurecht die Frage gefallen lassen, wodurch es darüber hinaus zu überzeugen sucht. Eine tatsächliche Charakterbildung oder -entwicklung findet nicht statt und obwohl ein Ziel vorgegeben wird, auf das Overgård mit der jungen Frau im buchstäblichen Schlepptau hinarbeitet, erzeugt das Gezeigte nur selten ein Gespür dafür, wie schnell sie vorankommen. Dass der Film in einem Eisbären einen Antagonisten personifiziert, anstatt die Natur allgemein als Gegner zu behalten, stört insofern nicht, als dass der Abschnitt mit dem Bären gelungen in Szene gesetzt ist.
So ist Arctic am Ende ein phasenweise wirklich packendes Überlebensdrama mit einem erstklassigen und sichtlich geforderten Mads Mikkelsen in der Hauptrolle. Seine Darbietung allein rechtfertigt hier das Einschalten. Der Film selbst entwickelt darüber hinaus aber keine neuen Aussagen und bleibt gleichermaßen hinter Filmen wie 127 Hours [2010] oder Überleben! [1993] zurück. Und das nicht, weil Overgårds Überlebenskampf nicht auf wahren Ereignissen beruht.


Fazit:
Es klingt esoterisch, wenn man sagt, dass man erst im Anblick des sicheren Todes sich selbst erkennt. Viele Nacherzählungen solcher Überlebenssituationen handeln deshalb zurecht davon, wie Menschen in diesen Momenten über sich hinauswachsen – oder ihre wahre Natur erkennen. Aber da die Figur von Overgård nie soweit vorgestellt wird, wie sie vor dem Absturz war, wird auch nie deutlich, wie sehr das Ereignis und dieser aussichtslose Kampf gegen die Natur ihn verändern. So bleibt er stets unnahbar und seine Entscheidung betreffend die junge Frau kurz vor dem Ende des Films entfaltet nicht die Reaktion, die sie beim Publikum auslösen sollte. Dabei ist Mads Mikkelsen nicht nur das Highlight des Dramas. Ihm zuzusehen, ist ermutigend, deprimierend, packend und unnachgiebig gleichermaßen. Es ist eine Tour de Force, die ihresgleichen sucht, und dass er hierfür keine Preise erhalten hat, geradezu skandalös. Die Darbietung verleiht Arctic nicht nur einen zentralen Ankerpunkt, sondern dem schieren Willen zu Überleben und der Entschlossenheit, alle Widrigkeiten hierfür zu überwinden, ein Gesicht. Das allein ist es wert, sich mit auf seine Reise zu begeben.