After the Hunt [2025]

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Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 10. Oktober 2025
Genre: Drama

Originaltitel: After the Hunt
Laufzeit: 139 min.
Produktionsland: USA / Italien
Produktionsjahr: 2025
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Luca Guadagnino
Musik: Trent Reznor, Atticus Ross
Besetzung: Julia Roberts, Ayo Edebiri, Andrew Garfield, Michael Stuhlbarg, Chloë Sevigny, Burgess Byrd, Christine Dye, Thaddea Graham, Ariyan Kassam, Lío Mehiel, Will Price


Kurzinhalt:

Alma Imhoff (Julia Roberts) ist eine anerkannte und bei ihren Studierenden beliebte Philosophieprofessorin an der Universität Yale. Nicht nur ihr Protegé Maggie (Ayo Edebiri) lädt sie zu Partys in der Wohnung ein, in der Alma mit ihrem Mann Frederik (Michael Stuhlbarg) wohnt. In der gehobenen Gesellschaft, zu der auch Gelehrte wie Almas Kollege Hank (Andrew Garfield) zählen, unterhalten sich vielversprechende Studierende über philosophische Themen. Für Alma könnte dieser Alltag immer so weitergehen, bis eines Tages Maggie in Tränen vor ihrer Tür steht und behauptet, Hank sei, nachdem er sie nach der Party nach Hause gebracht hat, übergriffig geworden. Sie habe mehrfach „Stopp“ gesagt, doch er habe nicht aufgehört. Auf Almas Nachfrage, was genau geschehen ist, gibt Maggie ausweichende Antworten, die mehr andeuten, als dass sie die Situation konkret schildern. Hank schildert einen anderen Verlauf des Abends und bittet Alma, wie Maggie zuvor, um ihre Unterstützung. Die Situation setzt Alma umso mehr unter Druck, da sie nicht nur an ein dunkles Geheimnis ihrer Vergangenheit erinnert wird, sondern gleichzeitig mit Hank um eine Festanstellung konkurriert. Je größere Kreise der Skandal an der Universität zieht, umso weniger scheint die Suche nach der Wahrheit im Zentrum zu stehen, was genau geschehen ist, als wie viel Kapital die Beteiligten daraus für ihre persönliche Karriere ziehen können …


Kritik:
Luca Guadagninos After the Hunt greift das ungebrochen aktuelle, wenn auch im öffentlichen Diskurs in den Hintergrund gerückte, #MeToo-Thema auf und verleiht dem einen gleichermaßen zeitgemäßen, wenn auch unerwarteten Aspekt. In einer Zeit, in der Schlagzeilen und Gegendarstellungen die Nachrichtenlandschaft dominieren, ist die Geschichte am Ende nicht entscheidender über die Reichweite, als die Wahrheit? Getragen von preiswürdigen Darbietungen, ist das nur so zäh und stellenweise unfokussiert präsentiert, dass sich nur ein kleines Publikum hier wohlfühlen wird.

In den ersten Minuten, in denen der Filmemacher einen Tag im Leben der an der renommierten Yale-Universität lehrenden Philosophieprofessorin Alma Imhoff zeigt, ist durchweg ein lautes Ticken einer Uhr zu hören. Man könnte fast meinen, ihr Leben funktioniere wie ein Uhrwerk, strukturiert, präzise und gleichermaßen mechanisch wie künstlich. Angefangen von den Schmerzmitteln, die sie direkt nach dem Aufstehen zu sich nimmt, bis hin zu den Partys und Treffen mit Dozenten und Studierenden, bei denen über abstrakte, aber kaum relevante Themen gesprochen wird. Almas Ehemann Frederik ist Psychiater und Teil des gesellschaftlich gehobenen Kreises, in dem Alma verkehrt. Sie umgibt sich, wie er feststellt, gern mit Personen, die sie anhimmeln. Sei es die junge Studentin Maggie, deren Eltern großen Einfluss besitzen, oder Almas Kollege Hank, mit dem sie eine Vertrautheit verbindet, die über reine Freundschaft hinauszugehen scheint. Frederik liebt seine Frau aufrichtig, selbst wenn sie ihm kaum Herzlichkeit entgegenbringt und ihrer Ehe jegliche Intimität abhanden gekommen scheint. Doch dann wendet sich Maggie an ihre Mentorin Alma und vertraut ihr an, dass der am Campus beliebte Hank sie nach der Party bei den Imhoffs nach Hause gebracht habe und dort übergriffig geworden sei. Hank bestreitet dies und erzählt von einem Verlauf des Abends, der gleichermaßen plausibel klingt. Aber nicht nur, dass sich Alma in der Situation wiederfindet, dass je Maggie und Hank sie um ihre Unterstützung bitten, die Situation reißt bei Alma Wunden wieder auf, die nie verheilt sind.

Welche dies sind, deutet After the Hunt zwar wiederholt an, deckt sie aber tatsächlich erst ganz am Ende auf, wenn Filmemacher Luca Guadagnino es so aussehen lässt, als würde Alma die Beichte bei einem Priester ablegen. Tatsächlich verschiebt das Drama den Fokus vom Vorwurf des sexuellen Übergriffs eines Dozenten auf eine Studentin im Verlauf hin zu Alma als eine konfliktbehaftete Figur, nur um zum Ende hin die ursprünglich im Raum stehende Frage wieder aufzugreifen: wer sagt die Wahrheit, Maggie oder Hank? Wenn Maggie sich die Gunst ihrer Mentorin sichern und ihre eigene Dissertation über Tugendhaftigkeit voranbringen wollte, wäre es eine Möglichkeit, Hank zu diskreditieren, der sich auf dieselbe Festanstellung wie Alma beworben hat. Andererseits könnte dies auch ein Ablenkungsmanöver sein, wie Hank es behauptet. Nicht einmal Alma scheint an der Wahrheit interessiert, wenn ihre eigenen Dämonen sie heimzusuchen beginnen. Sie wird eingangs als Teil einer Gesellschaftsschicht vorgestellt, deren Sprache allein derart weit von der breiten Bevölkerung entrückt ist, dass ihre Oberflächlichkeit diese Entrückung ebenso abrundet, wie der permanente Alkoholkonsum, Medikamentenmissbrauch oder ihre mangelnde Empathie, während sie sich gleichzeitig mit Menschen umgibt, die ihr schmeicheln. Aus dieser Komfortzone wird Alma herausgerissen, doch was aufgedeckt wird, ist nicht mit einer Läuterung verbunden, bei der sich Alma ihrer eigenen Vergangenheit stellen und Konsequenzen ertragen muss. Es steht vielmehr im Raum, wie die einzelnen Personen das Erlebte, bis hin zu einem erschütternden Trauma, zu ihrem eigenen Vorteil nutzen können.

Dies verbindet After the Hunt mit gesellschaftlichen Themen wie einem Unterscheid der Generationen, die sich gegenseitig vorwerfen, dass die Älteren den Jüngeren die Erfolge neiden, wenn sie diese nicht unter denselben Kraftanstrengungen erworben haben, wie sie selbst, da heute (noch) ein größeres Maß auf Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern gelegt würde. Oder dass es die Jüngeren gewohnt seien, jede Möglichkeit auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, anstatt sich mit den Ungleichheiten und Rückschlägen durch ein patriarchalisches Gesellschaftsgebilde tatsächlich auseinandersetzen zu müssen. Hier verbergen sich viele Beobachtungen und die zahlreichen Pausen in den Dialogen, in denen man den Figuren beinahe beim Abwägen und Nachdenken zusehen kann, laden das Publikum ein, es ihnen gleich zu tun. Doch sieht man die Charaktere nicht nur zu Beginn, sondern vor allem in der zweiten Stunde der Erzählung so lange um sich selbst kreisen, fragt man sich doch, ob die Geschichte die ursprüngliche Thematik vollends aus dem Blick verloren hat.

Während die ungewöhnliche, teils karikaturhafte Musik unterstreicht, dass das Geschehen einstudiert erscheint, ist sie auch darauf aus, das Publikum mit disharmonischen Klängen unerwartet zu überraschen. Das Ergebnis ist aber, wie auch die Perspektiven, die teils merklich Abstand zu den Figuren bieten, dann wieder dicht an ihnen kleben, derart gewöhnungsbedürftig, dass man mitunter meinen könnte, dies sei lediglich als Satire gedacht. Dem stehen Darbietungen gegenüber, die tatsächlich unter die Haut gehen. Julia Roberts bringt gerade durch die nach außen dargestellte Abgehobenheit und Entrückung ihrer Figur einen preiswürdigen Facettenreichtum zur Geltung, wenn Almas Welt zusehends in sich zusammenfällt. Und auch wenn Andrew Garfield in der zweiten Hälfte der Erzählung kaum in Aktion tritt, sein Zusammenbruch in der Mitte und sein Auftritt am Ende des Films sind so fantastisch zum Leben erweckt, wie sie erneut Fragen aufwerfen. Sie machen After the Hunt womöglich nicht zugänglicher, sehenswert aber in jedem Fall.


Fazit:
In gewisser Hinsicht fühlt sich Luca Guadagninos Erzählung an, als würde man eine von Schlagzeilen geprägte Berichterstattung verfolgen. Die beginnt mit der Schilderung eines Verbrechens, so dass man sich schnell eine Meinung dazu bilden kann. Doch erst durch die nachfolgenden Berichte wird der Hintergrund der beteiligten Personen erläutert und unterschiedliche Blickwinkel werden beleuchtet. Dabei nimmt die ursprüngliche Frage, was geschehen ist, ob tatsächlich ein sexueller Übergriff stattgefunden hat, in der zweiten Hälfte lange Zeit keinen großen Raum ein und beinahe bis zum Ende bleiben Zweifel, die aber keine wirkliche Rolle mehr zu spielen scheinen. Die Wahrheit und die Suche nach ihr rücken in den Hintergrund, wenn die Geschichte, die die Beteiligten erzählen, überzeugend genug ist. Jede und jeder versucht nicht nur, das Geschehen in einen bestimmten Rahmen zu packen, man selbst ertappt sich dabei, wie man sich auf eine Seite schlagen möchte, geprägt von den eigenen Erfahrungen, selbst wenn alles, was man erfährt, ohne jeglichen Nachweis nur berichtet wird. Das ist inhaltlich interessant, wenn auch gut 30 Minuten zu lang. Vor allem aber ist After the Hunt nie spürbar packend oder ambivalent genug, um die Scheinheiligkeit der durchweg privilegierten Personen tatsächlich zu entblättern. Dass sich der Fokus mehrmals verschiebt, mag die stets kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne unserer Gesellschaft widerspiegeln, in der selbst Nachrichten einer Inszenierung gleichen, bei der am Ende „Schnitt!“ gerufen wird. Doch das schmälert die geradezu nihilistische Aussage am Ende nicht, bei der stärker im Raum steht, welchen Vorteil die jeweils beteiligten Personen schließlich aus ihren Erlebnissen und ihren Geschichten für sich ziehen.
Für ein spezielles Publikum lohnt es sich, all dies zu entdecken.
 

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