Springsteen: Deliver Me from Nowhere [2025]

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Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 21. Oktober 2025
Genre: Biografie / Drama

Originaltitel: Springsteen: Deliver Me from Nowhere
Laufzeit: 120 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2025
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Scott Cooper
Musik: Jeremiah Fraites
Besetzung: Jeremy Allen White, Jeremy Strong, Paul Walter Hauser, Stephen Graham, Odessa Young, Gaby Hoffmann, Marc Maron, David Krumholtz, Johnny Cannizzaro, Harrison Gilbertson, Chris Jaymes, Grace Gummer, Matthew Anthony Pellicano


Kurzinhalt:

Nach dem fulminanten Ende seiner Tour zieht sich Sänger Bruce Springsteen (Jeremy Allen White) 1981 in ein kleines Haus in New Jersey zurück. Während sein Manager Jon Landau (Jeremy Strong) ihm den Rücken freihält, obwohl die Plattenfirma mehr Hits fordert, befindet sich Bruce an einem Scheideweg. Auf der Bühne verausgabt er sich, als würde er um sein Leben singen, doch während er an neuen Songs arbeitet, versinkt er in Kindheitserinnerungen an seinen Vater Douglas (Stephen Graham), der sich nach einem sorgenfreien Leben sehnte, es aber nie erreicht hat und dem Alkohol zugetan war. In der Abgeschiedenheit entsteht ein Album, das für Bruce zutiefst persönlich ist. Doch die Erinnerungen an seine Kindheit ziehen ihn an einen düsteren Ort, an dem ihn auch Faye (Odessa Young) nicht erreichen kann, mit der er eine Beziehung beginnt, sich aber doch zurückzieht aus Angst, er könnte den Erwartungen nicht gerecht werden. So isoliert sich das Ausnahmetalent nur noch mehr …


Kritik:
Mit einer geradezu greifbaren Authentizität nähert sich Filmemacher Scott Cooper in seiner erstklassig gespielten Biografie Springsteen: Deliver Me from Nowhere einem so prägenden wie düsteren Kapitel des aufstrebenden Musikstars Bruce Springsteen. So eingängig die Musik, es ist der persönlich wirkende Einblick in die schmerzvollsten Erfahrungen des Künstlers und seine Suche, diese durch seine Musik zu verarbeiten, der bei einem bleibt und seinen Songs aus jener Zeit eine zusätzliche Bedeutung verleiht.

Zeitlich angesiedelt in den Jahren 1981 und 1982 beschreibt die Erzählung, wie der gerade einmal 32jährige Sänger seine Tour abschließt, nachdem einer seiner Songs erstmals in den Top Ten gelandet ist. Das Plattenstudio Columbia Records drängt auf ein schnelles Nachfolgealbum, um vom Momentum des Erfolgs profitieren zu können. Doch Springsteen zieht sich in das Schlafzimmer eines abgelegenen Haues zurück und beginnt dort, Songs zu schreiben und aufzunehmen, die zutiefst persönlicher Natur sind. Er kann selbst nicht einschätzen, woher seine Inspiration kommt, auch wenn ihn seine Kindheitserinnerungen nicht loslassen. Er trifft auf die junge Mutter Faye und scheint in ihrer Gesellschaft und der ihrer Tochter aufzublühen. Doch je länger er sich mit seiner Musik beschäftigt, umso zurückgezogener wird er und droht, in einer Dunkelheit zu versinken, aus der er sich allein nicht befreien kann. Sein Manager Jon Landau erkennt dies und versucht, Bruces künstlerische Vision des Albums, das er vorbereitet, entgegen der Bedenken der Plattenfirma zu verteidigen. Doch letztendlich bleibt der Sänger für ihn so unerreichbar wie für alle anderen in seinem Leben.

Am Ende des Prozesses steht das Album „Nebraska“, das im Herbst 1982 veröffentlicht wird. Was das Album für den Sänger bedeutet, erkennt man am besten daran, wie sehr er es gegenüber Änderungen verteidigt. Er nimmt die Lieder mit seinem Toningenieur in dem Haus auf, abgeschottet und auf Kassette, mit einem Echoverstärker. Gedacht sind die Aufnahmen zuerst als Demomaterial, um die Musik später im Tonstudio mit einer Band zu reproduzieren. Doch was immer sie versuchen, es geht für Bruce das dabei verloren, was er mit den Aufnahmen zuerst beabsichtigte. Während das Studio professionell und voluminös klingt, sind seine persönlichen Aufnahmen rau, geradezu verletzlich minimalistisch, als würden sie einen ungeschönten, ungefilterten Blick auf seine Seele erlauben, während die Studioaufnahmen wie das Ergebnis eines Fotoshootings wirken. Seit jeher erzählt Bruce Springsteen mit seiner Musik eine Geschichte. „Nebraska“ scheint seine ganz persönliche zu sein, handelt sie doch von hart arbeitenden Menschen, die alles für den Erfolg tun würden, aber am Ende dennoch scheitern. Es ist eine dunkle Perspektive, die sich sowohl in den Rückblicken wiederfindet, die Springsteens Vergangenheit und seine Prägung durch einen dem Alkohol zugetanen, distanzierten und mitunter gewalttätigen Vater im Jahr 1957 behandeln, aber auch seine jetzige Situation. Zuletzt vor ausverkauftem Stadion gefeiert, deutet alles darauf hin, dass Bruce „The Boss“ Springsteen der nächste große Superstar am Musikhimmel werden könnte. Aber was, wenn er den Erwartungen nicht gerecht wird, wenn er unter dem Druck zerbricht und die Menschen, die ihm wichtig sind, verletzt?

Springsteen: Deliver Me from Nowhere porträtiert den Musiker, der an der Schwelle steht, zu Lebzeiten mehr als nur ein Star zu werden, als ähnlich wie sein Vater von Dämonen getrieben. Filmemacher Cooper verleiht ihm so nicht nur eine menschliche Verletzlichkeit, sondern eine charakterliche Tiefe, die einerseits den Künstler bereichert, aber auch sein Schaffenswerk. In Hauptdarsteller Jeremy Allen White findet er dabei jemanden, der die brodelnde Melancholie der Figur im Zentrum allein durch seine Augen zum Ausdruck bringt, ohne dass es dafür eines Dialogs bedarf. Abgesehen davon, dass er was ihn bewegt in seinen Songs verarbeitet, bleibt Springsteen in sich gekehrt, zurückgezogen und gerade dann, wenn er selbst zu einer solchen Vaterfigur werden könnte, wie eine, nach der er sich selbst seit seiner Kindheit sehnt, holt ihn seine Vergangenheit wieder ein und drängt ihn dazu, sich zurück zu nehmen. Abgesehen davon, dass die von White gesungenen Songs eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit den Originalen aufweisen, er bringt auch zum Ausdruck, wie sehr sich der Sänger auf der Bühne verausgabt, sodass er sie heiser und bis auf die Knochen durchgeschwitzt verlässt.

Währenddessen erschafft die Biografie trotz der greifbaren Authentizität eine Nähe zu den Figuren, dass man sich mit ihnen im Tonstudio, im Diner oder in der herbstlichen Abgeschiedenheit auf dem Land wähnt, in die sich der stets grübelnd scheinende Bruce zurückzieht. Springsteen: Deliver Me from Nowhere ist fantastisch ausgestattet und ebenso eindrucksvoll zum Leben erweckt. Es ist ein biografisches Drama, das den Künstler auf eine unerwartet ehrliche und persönliche Art und Weise beleuchtet. Sei es direkt durch die Erinnerungen, die ihn nicht loslassen, oder seine Musik, in der er all seine Erfahrungen verarbeitet. Statt die Aura des Künstlers Bruce Springsteen dadurch zu entzaubern, erreicht Filmemacher Scott Cooper genau das Gegenteil. Dies ist eine der eindrucksvollsten Darbietungen des Jahres und ein Drama, das in vielen Situationen unter die Haut geht, obwohl oder gerade weil der Konflikt nie offen ausgetragen wird, sondern sich im Innern der Titelfigur abspielt.


Fazit:
„In Dir ist der einzige Ort, den Du hast.“ Es ist eine Feststellung von Springsteens Manager Landau, die Bruces Versuch, seiner Vergangenheit zu entkommen, eine unüberwindbare Absage erteilt. Regisseur Scott Cooper greift die Entstehung des Bruce Springsteen-Albums „Nebraska“ auf und vermittelt seinem Publikum nicht nur, wie persönlich diese für den Künstler war, sondern auch weshalb. Sieht man ihn geradezu verzweifelt im Studio stehen, wenn er seine Vision, was er damit verbindet, nicht in den Einspielungen wiederfindet, dann wird seine Frustration greifbar. Das Album spricht ihm aus der Seele, auf die er eine Schuld geladen zu haben scheint, für die es keine Erlösung gibt. Ihn im Verlauf der zwei Stunden immer stärker in eine Depression abrutschen zu sehen, während seine Musik doch so vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen hat, könnte einem dasselbe beinahe brechen. Die Biografie mag nur einen Auszug aus dem Leben des Künstlers darstellen, doch das schmälert nicht ihre Wirkung. Erstklassig gespielt, bleibt die Darbietung im Zentrum dank des einnehmenden Charismas bei einem und lässt den Sänger wie seine Musik in einem anderen Licht erscheinen. Der Soundtrack ist fantastisch, die Stimmung beinahe ansteckend. Springsteen: Deliver Me from Nowhere ist ein starkes, bewegendes und trotz der düsteren Momente ermutigendes Porträt, das nachwirkt. Klasse!
 

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