Stiller [2025]

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Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. September 2025
Genre: Drama

Laufzeit: 99 min.
Produktionsland: Schweiz / Deutschland
Produktionsjahr: 2025
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Stefan Haupt
Musik: Richard Ruzicka, Ostravia Castelotti
Besetzung: Albrecht Schuch, Paula Beer, Sven Schelker, Max Simonischek, Marie Leuenberger, Stefan Kurt, Marius Ahrendt, Martin Vischer


Kurzinhalt:

Es sind die 1950er-Jahre. Für Staatsanwalt Rolf Rehberg (Max Simonischek) ist der Mann, der im Zug auf dem Weg nach Zürich aufgegriffen wurde, ein Rätsel. Die Papiere weisen den Mann als amerikanischen Staatsbürger James Larkin White (Albrecht Schuch) aus, doch Mitreisende haben ihn als den vor sieben Jahren spurlos verschwundenen Künstler Anatol Stiller erkannt. White bestreitet, Anatol Stiller zu sein, der unter anderem wegen seiner Verbindungen in einem Mordfall gesucht wird, doch die Ähnlichkeit ist nicht zu leugnen. Da auch Whites Anwalt Dr. Bohnenblust (Stefan Kurt) davon überzeugt ist, dass im Grunde Stiller vor ihm sitzt, zieht er Stillers Frau Julika (Paula Beer) hinzu. Die glaubt auch, ihren Mann zu erkennen, aber ganz sicher ist sie sich nicht. Die Begegnung weckt in ihr Erinnerungen an ihre Zeit mit Anatol (Sven Schelker) und wie sie sich auseinandergelebt haben. Je mehr Zeit sie mit White verbringt, umso unsicherer ist sie sich, ob vor ihr doch Anatol sitzt, oder nicht. Und wäre er nicht mehr der Mann, der er vor sieben Jahren war, würde es überhaupt eine Rolle spielen?


Kritik:
Basierend auf Max Frischs gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1954 erzählt Filmemacher Stefan Haupt in Stiller eine Geschichte über die Suche nach Identität und Verantwortung. Lange Zeit lässt er dabei das Publikum im Unklaren, ob der Protagonist gleichzeitig die Titelfigur ist, oder nicht. Der wird, sieben Jahre nach seinem Verschwinden, zwar wiedererkannt, behauptet aber, jemand anderes zu sein. In Rückblenden und vielen Dialogen nähert sich das Drama beiden Charakteren an und stellt dabei geradezu existenzielle Fragen.

Was zeichnet unsere Persönlichkeit aus? Ist es, wie wir uns selbst sehen, oder von den Menschen um uns herum wahrgenommen werden? Als er im Zug verhaftet wird, behauptet der Mann, amerikanischer Staatsbürger mit dem Namen James Larkin White zu sein. Doch Mitreisende haben ihn als Anatol Stiller erkannt, ein Künstler aus Zürich, der vor sieben Jahren urplötzlich verschwand. White wird von Staatsanwalt Rehberg vorgeworfen, mit gefälschter Identität eingereist zu sein und als Anatol Stiller eine kommunistische Vereinigung gegründet zu haben, denn Stiller soll in die Ermordung eines russischen Dissidenten verwickelt gewesen sein. White streitet ab, Stiller überhaupt nur zu kennen und während sein Pass durch die amerikanische Botschaft geprüft wird, wird er in Gewahrsam genommen. Für seinen Anwalt soll White Notizen zusammenstellen, wer seine Identität bestätigen könne. Gleichzeitig bittet er Stillers Frau Julika, die inzwischen eine Ballettschule in Paris leitet, nach Zürich zu kommen und ihren Mann zu identifizieren. Auch wenn sie Anatol zu erkennen glaubt, ein Rest an Zweifel bleibt und so entschließt sie sich, mehr Zeit mit White zu verbringen. Dabei kommen Erinnerungen wieder hoch an eine Ehe, die bereits in Scherben lag, bevor ihr Mann damals verschwand.

Wie soll man beweisen, dass man jemand nicht ist? Es ist eine Frage, die James White stellt, nachdem sein Ausruf, „Ich bin nicht Stiller!“ ungehört verhallt ist. Sein Anwalt Dr. Bohnenblust glaubt ihm ebenso wenig wie Staatsanwalt Rehberg. Einzig der junge Polizist Knobel scheint überzeugt, der Whites Geschichten aus Amerika in sich aufsaugt, das der so bunt, groß und faszinierend beschreibt, wie Knobel es in Filmen gesehen hat. Nachdem White und Julika aufeinandertreffen, springt die Erzählung in unterschiedliche Episoden der gemeinsamen Zeit von Anatol und ihr, die bewusst mit einer unterschiedlichen Farbgebung versehen sind. Stiller zeigt, wie sie sich kennengelernt haben, Julika als aufstrebende Balletttänzerin und Anatol als Künstler, dem eine große Karriere vorausgesagt wurde. Doch als dessen Werke seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht wurden, neidete er den Erfolg seiner Frau, die alsbald von einer schweren Krankheit ergriffen wurde. Es ist eine Ehe, in der über die eingängliche Anziehungskraft hinaus kaum Gemeinsamkeiten zu bestehen scheinen, was auch daran liegen mag, dass Filmemacher Haupt das Paar selten glücklich zeigt.

Zusammen mit dem Porträt einer zerfallenden Ehe schildert das Drama gleichzeitig die Titel gebende Figur als ein Künstler, der nie angekommen zu sein scheint, selbst wenn er nicht anklingen lässt, wohin es ihn zieht. Über James Larkin White hingegen erfährt das Publikum lediglich, was dieser dem Polizisten Knobel und Julika über sich erzählt. Es sind Geschichten, die zu überlebensgroß klingen, um wahr zu sein, aber gleichzeitig eine genügend große Distanz zur Figur offenlassen, dass man es nicht für unmöglich halten würde, dass er der ist, der er vorgibt, zu sein. Stiller überlässt es dabei den Zuseherinnen und Zusehern, die Motivation hinter alledem zu ergründen. Könnte es wirklich sein, dass jemand, der mit sich selbst und seiner Persönlichkeit derart unzufrieden ist, sich eine neue zulegt und die bisherige leugnet? Und wenn ihm dies so durchgehend gelingt, wann geht das selbstgeschaffene Bild der eigenen Person in die tatsächliche Persönlichkeit über? Anatol Stiller wird als jemand mit einem schwachen Selbstbild geschildert wird. Sei es, was seine spätere Kunst anbelangt, oder sein Verhalten im spanischen Bürgerkrieg. Könnte es da nicht sein, dass er eine idealisierte Version seiner Persönlichkeit erschaffen hat und diese nunmehr auslebt?

Ein aufmerksames Publikum mag die Antwort auf die Frage, ob White Stiller ist, aus der Struktur der Erzählung ableiten, wie die Rückblenden mit den aktuellen Geschehnissen verwoben sind. Die eigentliche Auflösung sei an dieser Stelle nicht verraten. Doch so gut insbesondere Paula Beer und Albrecht Schuch die beiden tragenden Rollen mit Leben füllen, das Drama blickt selten in die Persönlichkeit der Figuren und gestaltet aus der Suche nach Whites wahrer Identität auch keinen Krimi im eigentlichen Sinn. Das macht Stiller als dialoggetriebenes Drama für ein Publikum, das auf ein ebensolches eingestellt ist, nicht weniger interessant, doch es fehlt der Erzählung an einer Spannung, die dafür sorgen würde, dass sich die Laufzeit von etwas mehr als eineinhalb Stunden auch so kurzweilig anfühlen würde.


Fazit:
Früh kristallisiert sich heraus, dass sowohl Julika als auch Staatsanwalt Rehberg ein persönliches Interesse daran hätten, wenn James White tatsächlich Anatol Stiller wäre, da sie dann jemanden hätten, auf den sie ihre Wut und Enttäuschung projizieren und ihn gewissermaßen zur Rechenschaft ziehen könnten. Doch anstatt daraus White tatsächlich unter Druck zu setzen, wird der Storyaspekt alsbald wieder fallen gelassen. Dafür konzentriert sich Regisseur Stefan Haupt darauf, Anatols und Julikas gemeinsame Vergangenheit zu schildern, wie auch Anatols Verfehlung(en). Das ist durchweg tadellos in Szene gesetzt, wirkt aber auch auf Grund der Dialoge mitunter ungelenk, die stellenweise etwas hölzern klingen, als entstammten sie direkt der inzwischen 70 Jahren alten Vorlage. Die gelungenen Darbietungen wiegen Vieles hiervon wieder auf, am Ende definiert sich Stiller aber durch die Fragen bezüglich Identität und Persönlichkeit im Allgemeinen, auf die das Drama jedoch keine Antworten liefert. Die darf das interessierte Publikum selbst finden, was nicht als Kritik gemeint ist. Denn zum Nachdenken regt das allemal an.
 

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