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    Kritik von Jens Adrian  |  
    Hinzugefügt am 28. Oktober 2025
    Originaltitel: Anniversary
Laufzeit: 112 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Jan Komasa
Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans
Besetzung: Diane Lane, Kyle Chandler, Dylan O’Brien, Zoey Deutch, Mckenna Grace, Phoebe Dynevor, Madeline Brewer, Daryl McCormack, Rebecca O’Mara
Kurzinhalt:
Als die Universitätsprofessorin Ellen Taylor (Diane Lane) auf der Feier zum 25. Hochzeitstag mit ihrem Mann Paul (Kyle Chandler) die neue Freundin ihres Sohnes Josh (Dylan O’Brien) vorgestellt bekommt, Liz (Phoebe Dynevor), spürt sie bereits, welche Gefahr von ihr ausgeht. Liz war einst ihre Studentin und durch ihre verfassungsfeindlichen, antidemokratischen Thesen aufgefallen. Seitdem sind acht Jahre vergangen, in denen Liz ihre Anleitung zur Selbstorganisation zu Papier gebracht hat. Ihr Werk „The Change“ verspricht ein neues politisches System, bei dem der Mensch und nicht die Politik im Mittelpunkt steht. Es sei Demokratie in Reinform, aber mit nur einer Partei, der unbeschränkte Macht verliehen wird. Ein paar Jahre später hat sich Liz’ Buch millionenfach verkauft und eine große Firma kooperiert, um die enthaltenen Thesen umzusetzen. Während sich nicht nur die politische Landschaft durch das radikale System verändert, treibt „The Change“ auch einen Keil durch Ellens Familie, bei der ihre Töchter Cynthia (Zoey Deutch) und Anna (Madeline Brewer) unter Druck geraten, während sich Cynthias Partner Rob (Daryl McCormack) eher auf Joshs und Liz’ Seite sieht. Tochter Birdie (Mckenna Grace) scheint zu jung, um all dies zu verstehen, aber nicht nur Paul muss erkennen, dass es in Anbetracht der Unvereinbarkeit der um die Vorherrschaft kämpfenden politischen Systeme nicht möglich ist, neutral zu bleiben …
Kritik:
Filmemacher Jan Komasa schildert in The Change die Übernahme eines demokratischen Staates durch ein autoritäres Regime aus Sicht einer Familie, durch die zuerst ein Keil getrieben wird, ehe sie von innen heraus zerstört wird. Worauf die Verantwortlichen anspielen, ist nicht schwer zu erraten, doch bleiben sie abstrakt genug, dass ihre Aussagen für alle Länder gelten können, in denen sich demokratiefeindliche Parteien im Aufwind befinden. Das Ergebnis ist erschreckend und wichtig zugleich.
Zur ihrem 25. Hochzeitstag laden Universitätsprofessorin Ellen Taylor und ihr Mann, der erfolgreiche Restaurantbesitzer und Koch Paul, Familie und Freunde ein. Neben ihren drei Töchtern ist auch Sohn Josh dabei, der seine neue Freundin Elizabeth „Liz“ Nettles vorstellt. Ellen erkennt Liz zunächst nicht, doch sie war vor acht Jahren eine Studentin von ihr, ehe Ellen sie auf Grund ihrer Arbeit, die antidemokrarische Thesen vertrat, auf dem Campus zur Rede stellte. Bloßgestellt, verließ Liz daraufhin die Universität. Inzwischen hat sie ihre Ansichten in einem Buch zusammengetragen, „The Change“, das ein neues Sozialverständnis propagiert, mit einem Einparteiensystem im Zentrum und einer radikalen Unterwerfung des Volkes und von Andersdenkenden. Das Buch ist ein Erfolg und verkauft sich millionenfach. „The Change“ wird zu einer politischen Bewegung, die nicht nur manche Mitglieder der Familie vereinnahmt, sondern die gesamte Gesellschaft durchsetzt.
Regisseur Komasa zeigt über mehrere Jahre hinweg, wie dies schleichend geschieht, zunächst durch unterschiedliche Ansichten bei einer Feier in der Familie, wenn sich verschiedene Fronten zu bilden scheinen. Dann toleriert das autoritäre Regime keine Abweichungen mehr, es werden berufliche Existenzen vernichtet, ehe die Bedrohung körperlich wird. Dabei beginnt die Erzählung geradezu leichtfüßig mit einer Feier, bei der The Change die unterschiedlichen Figuren der Familie etabliert. Angefangen von Ellen, die Liz vom ersten Moment an ablehnend gegenübertritt, da sie die Bedeutung hinter ihren Auffassungen erkennt. Paul übernimmt die Rolle des Ausgleichenden, der um Harmonie bemüht ist, während die Töchter Anna und Cynthia die progressiven weiblichen Perspektiven vertreten. Anna steht als Comedian auf der Bühne, während Cynthia und ihr Partner Rob als Anwälte für Umweltrecht tätig sind. Sie haben die gleichen Ziele, aber ein unterschiedliches Verständnis für Familienwerte und Rollenbilder. Die jüngste Tochter Birdie ist der Wissenschaft zugetan und sieht in Liz’ Ansichten zunächst eine Chance auf Veränderung. Josh hingegen sieht sich als Autor mit der Tatsache konfrontiert, dass er nie das Niveau oder den Erfolg erreichen wird, den seine Schwestern erfahren haben, und fühlt sich als Versager der Familie. Ohne eine eigene Perspektive, macht er sich Liz’ Vision zu Eigen und vertritt sie in den folgenden Jahren beinahe vehementer als sie.
Je weiter die Zeit voranschreitet, umso mehr gerät die Familie unter Druck. Sei es, wenn Anna auf der Bühne für ihre Kritik am politischen System von „The Change“ angegriffen wird, oder wenn die Sicht auf die Welt von Cynthia und Rob vollends auseinander driftet. Paul, der zuerst als Vermittler auftritt, verliert alles, was er sich aufgebaut hat, bleibt aber ungeachtet einer verzweifelten Aussichtslosigkeit standhaft. „The Change“ erwartet von den Menschen im Land mehr, als keinen aktiven Widerstand. Wer sich nicht zum System bekennt, wird als Feind desselben angesehen. Dass Professorin Ellen, die zu Beginn in eine Fernsehsendung eingeladen wird, in der sie dazu Stellung beziehen soll, ob Elite-Universitäten politisch linke Thesen verbreiten würden, hier als Systemkritikerin angesehen wird und ihre Arbeit verliert, ist keine Überraschung. Es sind praktische Beispiele wie diese oder wenn die Umerziehung der Bevölkerung beginnt, um Systemabweichler aufzuspüren, in denen The Change beunruhigende Parallelen zur Wirklichkeit aufweist.
Die Erzählung bleibt dabei einen Blick auf das gesamte Land schuldig und geht kaum in die Details, was die Ideologie des Einparteiensystems anbelangt, das angeblich den Menschen in den Mittelpunkt rückt, aber am Ende nur die Art Mensch meint, die das System für lebenswert erachtet. Auch wird nur angerissen, dass „The Change“ Menschen mit migrantischen Wurzeln ausgrenzt, oder komplett verschwiegen, wie sich dies auf die Wirtschaft des Landes auswirkt. Stattdessen konzentriert sich die Geschichte auf Auswirkungen im Privaten, zeigt die Normalisierung von radikalen Thesen, wenn Liz eingeladen wird, an der Universität, von der sie damals gewissermaßen geflohen ist, einen Vortrag zu halten, und rückt die Profiteure von autoritären Regimen ebenso ins Zentrum, wie die Opfer. Es gibt viele Andeutungen, die darauf schließen lassen, dass sich die Verantwortlichen das „Project 2025“ zum Vorbild genommen haben, die politische Blaupause, mit der die Vereinigten Staaten von Amerika derzeit unter dem Deckmantel des Konservatismus von einer Demokratie in einen autoritären Staat umgebaut werden.
Stark und eindringlich gespielt von der gesamten Besetzung, ist dies keine einfache Kost, aber inhaltlich ungemein aktuell. Und offenbar, als würde der Blick in die Berichterstattung nicht ausreichen, so treffend, dass der weitere Verlauf der Erzählung nur umso mehr beunruhigt. Man mag The Change dabei vorwerfen, dass viele Aspekte zu unkonkret bleiben und Figuren, deren Entscheidungen am Ende wichtig sind, zuvor kaum in Erscheinung treten dürfen. Doch das ändert nichts an der Aussagekraft der Geschichte, die im Rahmen einer Mini-Serie von sechs Teilen womöglich mehr Raum gehabt hätte, die unterschiedlichen Aspekte zu vertiefen. Als drängendes Mahnmal ist dies dennoch wichtig und sehenswert.
Fazit:
Sei es beim Familienessen zu Thanksgiving oder auch in den vielen angespannten Momenten danach, die Dialoge sind so hintersinnig wie pointiert und entlarven die menschenverachtende Ideologie von „The Change“ ebenso, wie sie die Figuren offenlegen, die sich entweder dafür aussprechen oder dagegen. Die zeitlichen Sprünge ermöglichen es Filmemacher Jan Komasa, die Auswirkungen des Unterdrückungsregimes im Schnelldurchgang vorzustellen. Sei es das Denunziantentum per App, die ständige Überwachung oder die Gewaltausbrüche im Land, sowohl gegenüber dem Regime, wie auch gegenüber denjenigen, die sich ihm nicht unterwerfen wollen. So abstrakt die Darstellung des autoritären Staates, der dahinter liegenden Ideologien und des Landes bleibt, dies aus dem Blickwinkel dieser Familie zu erleben, versetzt einen umso mehr in ihre Situation und macht es greifbar. Es gibt einen Moment zum Ende hin, der einen gleichermaßen wütend und traurig macht. Es ist der Augenblick, wenn man erkennt, dass der Druck des Unrechtsstaats wirkt und zu groß geworden ist, um sich ihm zu widersetzen. The Change ist ein starker und stark gespielter Film, bei dem zuerst die Dialoge und später die gesamte Situation derart unvermittelt düster geraten, dass die Beunruhigung einer geradezu schockierenden Bedrohung weicht. Die Aussage auszuhalten, ist nicht einfach, aber es ist wichtig und klasse dargebracht.

