Wüstenblume [2009]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Mai 2010
Genre: Drama

Originaltitel: Desert Flower
Laufzeit: 129 min.
Produktionsland: Großbritannien / Deutschland / Österreich
Produktionsjahr: 2009
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Sherry Horman
Musik: Martin Todsharow
Darsteller: Liya Kebede, Sally Hawkins, Craig Parkinson, Meera Syal, Anthony Mackie, Juliet Stevenson, Timothy Spall, Soraya Omar-Scego


Kurzinhalt:
Als Waris (Liya Kebede), die Tochter einer Nomadenfamilie in Somalia, mit 13 in eine Ehe verkauft werden soll, flieht sie von ihrem Zuhause. Über Verwandte in der Stadt wird sie nach London gebracht, wo sie als Dienstmädchen in der somalischen Botschaft arbeitet. Jahrelang hat sie dort keinen Kontakt zur Außenwelt, bis die Botschaft auf Grund der Kriegswirren in Somalia geräumt wird.
Waris flieht erneut und ist von einem Tag auf den anderen auf sich allein gestellt. Sie findet in der glücklosen Balletttänzerin Marylin (Sally Hawkins) eine Freundin und wird bei ihrer Reinigungsarbeit in einem Schnellrestaurant von dem Modefotograf Terry Donaldson (Timothy Spall) entdeckt. Er bringt sie auf die Titelseiten der Modemagazine und Waris soll die Welt als Model für die größten Marken bereisen. Doch was ihr in ihrer Kindheit angetan wurde, lässt sie auch nach so langer Zeit nicht los und wird es vermutlich nie.


Kritik:
Von der Wüste Afrikas auf die Laufstege der Welt – die Berichterstattung um das in Somalia geborene Model Waris Dirie konzentrierte sich meist auf diesen Umstand. Jeder wollte hören und lesen, wie sie von einem Starfotografen in einem Fastfood Restaurant entdeckt wurde und nach ihrem Erscheinen im Pirellikalender 1987 für alle großen Modemarken verpflichtet wurde. Eine Karriere, die sie nicht angestrebt hatte, als sie nach London kam, nahm in rasendem Tempo Fahrt auf. Sogar in einem James Bond-Film ist sie kurz zu sehen. Erst als sich das unnahbar erscheinende Model in einem Interview 1997 über die grausame Verstümmelung äußert, der sie als kleines Mädchen unterzogen wurde, scheint Waris Dirie schließlich ihre Bestimmung zu erfüllen. Dass es über 10 Jahre dauerte, ehe ihr autobiografischer Roman Wüstenblume [1998] als Film auch einem breiteren Publikum zugänglich wurde, ist an sich ein Trauerspiel.
Unter der Regie von Sherry Horman kam Wüstenblume schließlich auf die große Leinwand, in einer Zeit, in der Topmodels nicht entdeckt, sondern gecastet werden und in denen nicht Fotografen und Designer über die Models entscheiden, die ihre Motive prägen, sondern im Internet und am Telefon das Volk befragt wird. Vielleicht kam der Film damit ein wenig zu spät, denn auch wenn das eigentliche Anliegen Diries erhalten bleibt, es wird weder das Hauptaugenmerk auf die Oberflächlichkeit der Modebranche gelegt, noch auf die psychischen und physischen Auswirkungen der Genitalverstümmelung auf die Opfer. Zwei Drittel des Films beschäftigen sich mit Diries Werdegang, mit ihrem aufstrebenden Ruhm und der Freundschaft zu Marylin. Als Autobiografie eignet sich Wüstenblume damit nur bedingt und scheint das Thema zwar nicht zu verfehlen, aber nicht ganz ins Schwarze zu treffen.

Was dem Film vor allem zu fehlen scheint ist eine genaue Zeitangabe, wann welche Ereignisse stattfinden. Zwar kann man sich aus der gezeigten Mode und Frisurtrends in etwa erschließen, dass die Handlung zum großen Teil Ende der 1980er und Anfang 90er Jahre spielt, doch wäre es insbesondere angesichts der Rückblicke zu Waris Kindheit in Somalia sinnvoll gewesen, die zeitlichen Sprünge irgendwie zum Ausdruck zu bringen. So muss man sich außerdem selbst erschließen, dass zwischen Waris Rückkehr nach Afrika, die im Film nur mit der Erwähnung einer BBC-Dokumentation angedeutet wird, und dem alles verändernden Interview mit dem Frauenmagazin Marie Claire nochmals zwei Jahre vergehen. Bedauerlicherweise sind viele Szenen, die eben die Rückkehr und das erneute Treffen mit ihrer Mutter beschreiben, der Schere zum Opfer gefallen, dabei verdeutlichen sie sehr gut, wie ihre Familie mit ihrem Weggang umging und auch, was aus ihrem Bruder wurde. Interessenten finden diese sehenswerten Momente auf der veröffentlichten DVD- und Blu-ray-Disc, die zudem eine sehr lobenswerte Hörfilmfassung enthält.
Wessen Sprachschatz dabei groß genug ist oder Untertitel akzeptieren kann, sollte unbedingt auf die englische Fassung zurückgreifen. Die deutsche Synchronisation klingt durch die Sprecher und Dialoge nicht nur steril und künstlich, sondern wirkt in den mitunter unnützen kleinen Kommentaren selbst bereits wie ein Hörspiel, das nicht recht zu den Bildern passt. Bedauerlich ist das insofern, als dass sich die beiden Hauptdarstellerinnen Liya Kebede und Sally Hawkins viel Mühe geben, die Figuren zum Leben zu erwecken. Ebenso wie Timothy Spall, der als Fotograf Donaldson zwar eingangs sehr unsympathisch wirkt, für Waris aber letztlich die Atmosphäre erschafft, mit der es ihr gelingt, ihre Unsicherheit zu überwinden. Craig Parkinsons Rolle ist zweifellos die undankbarste und hätte am ehesten herausgenommen werden können.

Den Höhepunkt bildet in Wüstenblume zweifelsohne Waris Diries Rede vor der UN, die jenes unnötige, in keinem religiösen Text niedergeschriebene und gesundheitlich gefährliche Ritual der Frauenbeschneidung auch all denjenigen vor Augen führte, die sich der Berichterstattung zuvor entziehen konnten. Doch damit war ihre Arbeit nicht getan, sondern hatte gerade erst begonnen.
Hierfür ein Bewusstsein zu schaffen, den Menschen die Augen dafür zu öffnen, welche Qualen die Opfer jener Riten nicht nur körperlich erleiden, ist wichtig. Bedauerlich ist nur, dass Horman die erste Hälfte seines Films wie eine indirekte Werbung für das Model-Business erscheinen lässt. Ein kritischer Umgang hierzu fehlt leider ebenso wie eine stärkere Betonung auf Waris Rückkehr in ihre Heimat, in der sich seit ihrer Flucht so viel veränderte – und doch so viel gleich geblieben ist.


Fazit:
Wenn man mit dem dreijährigen Mädchen miterleidet, wie ihr Wunden zugefügt werden, die sie nicht nur körperlich, sondern auch seelisch ein Leben lang verfolgen werden, lässt einen das nicht unberührt. Als Mahnmal, um jene Genitalverstümmelung dem Publikum vor Augen zu führen, funktioniert Wüstenblume auch sehr gut. Was die Verfilmung der Autobiografie allerdings vermissen lässt ist eine klare Struktur, die eben auf Waris Diries Publikmachung jenes Rituals zusteuert.
Stattdessen mäandriert die Geschichte um ein Modeldasein, ohne aber Stellung zu beziehen, ob die Oberflächlichkeit und der Leistungsanspruch jener Branche etwas Erstrebenswertes sind oder nicht. Auch bleibt offen, wie sehr dieses Leben Waris veränderte und was sie dennoch bewog, mit ihrem und dem Schicksal von Millionen Frauen auf der Welt an die Öffentlichkeit zu gehen. Hätten die Macher hier bewusster Stellung bezogen und ihren Charakter statt ihren Werdegang in den Mittelpunkt gerückt, wäre aus der stellenweise bewegenden Biografie ein ergreifendes Porträt geworden.