Wer wir gewesen sein werden [2022]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 7. Juni 2022
Genre: Dokumentation

Laufzeit: 81 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Erec Brehmer
Musik: Alexander Maschke
Personen: Erec Brehmer, Angelina Zeidler


Hintergrund:

Im Jahr 2015 lernten sich Erec Brehmer und Angelina „Angi“ Zeidler kennen. Sie wurden ein Paar und verbrachten ihr Leben zusammen, bis Angelina bei einem Autounfall ihr Leben verlor. All ihre Pläne und Träume wurden mit einem Mal beendet und in seiner Trauer begann Filmemacher Brehmer, alle Bilder, Nachrichten und Videos, die es von Angelina gab, zusammen zu tragen. Das Ergebnis ist der Dokumentarfilm Wer wir gewesen sein werden, der ihre gemeinsame Zeit nachzeichnet und seinen Werdegang mit der teils überwältigenden Trauer, um sich in einer Welt zurechtzufinden, die für ihn nie wieder so ein würde wie zuvor.


Kritik:
Mit seinem Dokumentarfilm Wer wir gewesen sein werden nähert sich Filmemacher Erec Brehmer der Frage, wie man das Unvorstellbare für einen selbst begreiflich machen kann. Unerwartet verliert er bei einem Autounfall seine langjährige Lebensgefährtin und wird selbst schwer verletzt. Auf den ersten Schock und die mentalen wie körperlichen Zusammenbrüche folgt die Frage, wie man mit einer solchen Situation umgehen lernen kann. Seine Antwort ist so ehrlich wie ernüchternd, kann aber auch ermutigen.

Der Filmemacher unterteilt seine Schilderungen in drei Abschnitte: Die Ereignisse „davor“, „danach“ und im „Hier und Jetzt“. In allen drei Segmenten nimmt die Person, die ihm womöglich mehr bedeutete, als er ahnte, mehr Zeit ein, als er selbst. Dabei beginnt er bei ihrem ersten Aufeinandertreffen und erzählt, unterlegt mit Bildern, Textnachrichten sowie kurzen Videos, wie sich ihre Beziehung entwickelt hat. Wie sie zu der Art Beziehung von zwei eng verbundenen Menschen wurde, zu denen er selbst nie gehören wollte, da sie die meiste Zeit miteinander verbringen. Die Einblicke, die Brehmer dabei in ihren Alltag bietet, wirken greifbar, ungeschönt und ergeben am Ende eine Liebeserklärung für seine Partnerin Angelina Zeidler, wie er sie ihr womöglich gerne gemacht hätte, als sie noch bei ihm war.

Was an Wer wir gewesen sein werden dabei so überrascht, ist die Offenheit, mit der Erec Brehmer von seiner gemeinsamen Zeit mit seiner „Angi“ berichtet. Dass sie sich auf einer Dating-Plattform kennengelernt haben, beispielsweise. Oder dass sie aus scheinbar unterschiedlichen Welten kamen – er der Filmregisseur, sie ein bayerisches Mädchen vom Land, die nach einem gescheiterten Studium eine Ausbildung zur Bierbrauerin machte. Er unterlegt die Eindrücke ihrer gemeinsamen Zeit mit Bildern ihrer Wohnung, als sie zusammenziehen, oder aus ihren Urlauben. Und er bleibt ehrlich, wenn er sagt, dass ihm manche Dinge erst bei Durchsicht der Videoaufnahmen aufgefallen sind. Momente, in denen er gern anders reagiert, Blicke, die er gern erwidert hätte, wäre er nicht darum bemüht gewesen, sie filmisch festzuhalten. Rückblickend ist das Leben eben auch eine Ansammlung von Momenten, die man anders gehandhabt hätte, hätte man um ihre Einzigartigkeit gewusst. Denn Brehmer erzählt auch von ihren gemeinsamen Träumen, ihren Plänen für die Zukunft und wie groß seine Enttäuschung, dass er ihr diese Wünsche nicht erfüllte.

Dann geschah jener Autounfall, der ein Leben beendete und nicht nur das des Filmemachers aus der Bahn warf. Seine Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören, noch ehe er wusste, wie es um seine Partnerin stand, die zerbrechliche Zuversicht in der Stimme, ist ein so intimer Einblick, dass es einem einen Schauer über den Rücken jagt. So auch, wenn Brehmer sich die Frage stellt, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Was geschehen ist und was geschehen wäre, wäre nur ein Detail an jenem Tag anders abgelaufen. Wer wir gewesen sein werden offenbart eine Ehrlichkeit, die sich auch in der Hoffnungslosigkeit des Überlebenden widerspiegelt, wenn er fragt, „Wie geht das? Trauern?“.
Wie er die Trauer empfindet, versucht, mit dem Verlust zurecht zu kommen, in einer Welt ohne seine „Angi“ und doch mit so vielen Erinnerungen überall, ist so traurig wie ermutigend. Nicht trotz, sondern gerade auf Grund der Rückschläge, die er im Leben danach erfährt.

Diese präsentiert der Filmemacher gleichermaßen ungeschönt. Dass es dabei ein Auf und Ab gibt, ist mehr als verständlich. Die einprägsamen Sätze zu Beginn, „Wer wir waren ist vorbei seit diesem Tag. Doch Manches ist noch offen.“, wiederholt er später, doch klingen sie beim zweiten Mal, als würde er verstehen, dass dies in der Natur des Verlustes liegt. Wer wir gewesen sein werden begleitet diesen Prozess aus nächster Nähe, gibt aufschlussreiche Einblicke in das Leben dieser Menschen, die jäh voneinander getrennt werden. Erec Brehmer erzählt gleichermaßen eine Liebeserklärung wie ein Klagelied. Beide sind hochgradig persönlich und daher auf eine unmittelbare Art berührend. Es führt einem aber auch vor Augen, wie kostbar die gemeinsame Zeit ist.


Fazit:
Trauer ist so individuell wie mitunter überwältigend. Filmemacher Erec Brehmer zeigt mit allen Höhen und Tiefen seine Entwicklung aus jener unbegreiflichen Situation nach dem Verlust heraus. Er ist auf der Suche nach einer Möglichkeit, einen Abschluss zu finden – nicht mit dieser Person, die ihm so viel bedeutet hat, sondern mit der Trauer, die ihn seit ihrem Tod erfüllt. Ihm vorwerfen zu wollen, dass er sich in der Zeit danach oder auch im Hier und Jetzt zu sehr mit Angelinas Vergangenheit befasst, wäre schon deshalb unsinnig, weil es eben kein richtig oder falsch gibt. Es gibt nur den Weg, den der Filmemacher gegangen ist. Dass er diesen dem Publikum vorstellt, erfordert Mut und in Anbetracht der Zweifel sowie der Selbstvorwürfe auch die Größe, sich diesen zu stellen. Wer wir gewesen sein werden ist ein so ehrlicher wie intimer Blick auf die Suche nach der eigenen Identität nach dem Verlust eines geliebten Menschen. Das ist berührend, ob man nun selbst bereits einen geliebten Menschen verloren hat, oder noch nicht. Denn die ureigene Befürchtung der Vergänglichkeit ist es, was die Liebe als solch starke Emotion auszeichnet. Brehmers Erfahrungen können aber auch ermutigen und helfen, so wie es ihm geholfen hat, seine Erfahrungen zusammenzufassen. Das ist wichtig und wertvoll.