The End We Start From [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 9. Mai 2024
Genre: Drama

Originaltitel: The End We Start From
Laufzeit: 102 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Mahalia Belo
Musik: Anna Meredith
Besetzung: Jodie Comer, Joel Fry, Nina Sosanya, Mark Strong, Katherine Waterston, Benedict Cumberbatch, Yves Rassou, Ramanique Ahluwalia, Neil Bell, Phillipa Peak, Theo Barklem-Biggs, Ansu Kabia, Gina McKee


Kurzinhalt:

Für die hochschwangere Frau (Jodie Comer) ist es ganz normaler Tag, als der sintflutartige Dauerregen zuerst ihre Wohnung überflutet und sie mit Wehen ins Krankenhaus kommt. Die Geburt ihres Kindes sollte der schönste Tag in ihrem und dem Leben ihres Mannes (Joel Fry) sein, doch die Welt steht vor einer Katastrophe. Die Überflutungen nehmen immer weiter zu und so flieht die junge Familie aufs Land zu seinen Eltern. Bei ihrer Schwiegermutter (Nina Sosanya) und dem Schwiegervater (Mark Strong) scheint sich die Situation zuerst zu beruhigen, doch der Ausnahmezustand hält an und so bleibt die junge Mutter mit dem Neugeborenen zurück, während die anderen Vorräte suchen. Als sich die Situation nicht bessert, bricht sie mit ihrem Baby in eine ungewisse Zukunft auf und muss über sich hinauswachsen, um sich und ihr Kind zu beschützen, auf der Suche nach einer Normalität, die nicht wiederkehren wird …


Kritik:
Basierend auf dem gleichnamigen Debütroman von Megan Hunter erzählt Filmemacherin Mahalia Belo in The End We Start From eine Geschichte, deren unterschiedliche Interpretationsebenen dem Publikum kaum verborgen bleiben können. Vor dem Hintergrund einer lebensbedrohenden Katastrophe, die sich in Großbritannien ereignet, schildert sie, wie sich eine Mutter nach der Geburt ihres Kindes fühlt. Das ist intensiv gespielt und eindringlich in Szene gesetzt, aber auch abstrakt und daher nur für ein spezielles Publikum zugänglich.

Ist die Geburt eines Kindes nicht eine Zäsur, die die Welt in eine solche davor und danach einteilt? Müssen die Eltern danach nicht erst wieder zueinanderfinden, eine Möglichkeit suchen, mit der veränderten Realität zu leben? Belo beginnt ihre Geschichte mit einer hochschwangeren Frau, deren Name – wie diejenigen sämtlicher Figuren der Geschichte, mit Ausnahme des Kindes, das geboren wird – nicht genannt wird. Sie ist hochschwanger, als es draußen unentwegt wie aus Kannen regnet. Der Boden kann das Wasser nicht aufnehmen und als der Strom ausfällt und das Wasser in ihre Wohnung eindringt, setzen die Wehen ein. Ihre Hilferufe am Mobiltelefon bleiben unbeantwortet, selbst diejenigen an das Krankenhaus. Alarmsirenen schrillen draußen und Szenen der Geburt des Kindes werden mit Eindrücken von in das Haus strömenden und die Einrichtung hinfortspülenden Wassermassen abgewechselt. Nachdem ihr Mann die junge Mutter im Krankenhaus gefunden hat, gelingt es ihnen gemeinsam, mit dem Auto aus der immer stärker überschwemmten Stadt zu fliehen. Höher gelegene Städte schotten sich ab und so finden sie Zuflucht bei seinen Eltern.

Die Frau sagt zu ihrem Neugeborenen, das sie und ihr Mann „Zeb“ nennen, in einem Moment, dass all dies nicht so ist, wie es sein sollte. The End We Start From entsendet die Protagonistin auf eine Reise voller Entbehrungen in eine ungewisse Zukunft. Sie findet sich in einer Welt wieder, die auf den Kopf gestellt erscheint. Als sie in einer Zuflucht unterkommt, scheint es ihr, dass andere anwesende Mütter in der Lage sind, ihre Kinder zu beruhigen, während es ihr nicht gelingt. Einzig eine andere Frau, deren Kind ein paar Monate älter ist als Zeb, scheint sie zu verstehen.

Regisseurin Mahalia Belo erzeugt eine surreale Welt, in der die junge Mutter doch für ihr Kind selbst dann funktionieren, glücklich erscheinen und in eine Rolle schlüpfen muss, wenn sie innerlich kurz vor dem Zusammenbruch steht. Ihr Weg führt sie an einen Ort, an dem sie zwar bleiben könnte, der aber doch von dem Leben, das sie ursprünglich und von der Person, mit der sie dieses Leben führen wollte, so weit entfernt ist, dass sie einen Weg zurück finden muss. Das klingt abstrakt, doch ist die Geschichte so beinahe verständlicher, als wenn man die Szenen wortwörtlich betrachtet. Dann wiederholen sich die Aussagen und der Verlauf der Story spürbar, selbst wenn die Darstellung dieses Weltuntergangszenarios in Großbritannien auf Grund der schieren Beiläufigkeit, mit der es in die Geschichte eingewoben ist, bereits erschreckt.

Immer wieder sieht die Mutter ihren Mann in Tagträumen, erinnert sich daran, wie sie zusammenkamen, als die Welt noch eine andere war. Ihr Wunsch, als Familie zusammenzubleiben, erfüllt sich nicht, sie muss die gefährliche Reise durch diese Welt mit ihren veränderten Rahmenbedingungen alleine unternehmen. Dabei muss sie auch lernen, egoistisch zu sein, um sich und ihr Kind zu beschützen. Der Blick, den The End We Start From auf den Beginn des Mutterseins wirft, erscheint im ersten Moment düster und beinahe zerstörerisch. Doch spiegelt dies allenfalls das subjektive Empfinden wider, wenn einem die persönliche Kontrolle über die eigene Welt aus den Händen gerissen wird.

Allein als apokalyptisches Drama vermag die Erzählung dabei trotz einer herausragenden Darbietung von Jodie Comer weniger zu überzeugen. Dafür verhaftet die Schilderung zu sehr auf der Figur im Zentrum und blendet den Einfluss ihrer Umgebung auf sie und ihr Verhalten zu sehr aus. Die Aussage von Belos emotional nur wenig berührender, dafür sichtlich intensiver Umsetzung, ist daher kaum zu übersehen und lebt von einer Hauptdarstellerin, die furchtlos die Höhen und Tiefen ihrer Figur auslotet, während sie das Gefühl der Isolation in dieser Ausnahmesituation ebenso zum Ausdruck bringt, wie die Stärke, die sie aufbringt, um ihr Kind zu beschützen. Die künstlerisch anspruchsvolle Herangehensweise ist schließlich der Grund, weswegen sich The End We Start From nicht für ein breites Publikum eignet. Doch bedeutet das nicht, dass sich nicht viele Mütter hier verstanden und repräsentiert fühlen. Nicht nur für sie ist die ungewöhnliche Umsetzung der Thematik durchaus eine Empfehlung.


Fazit:
Dass die Geschichte nur vordergründig ein Endzeitdrama, im Kern jedoch eine Metapher für das Gefühl zu Beginn einer Mutterschaft erzählt, ist bereits früh erkenn- und auch unübersehbar. Es macht es in gewisser Hinsicht einfacher, die Wegstationen der namenlosen jungen Mutter zu deuten, oder zumindest, sich vorzustellen, was die Verantwortlichen damit aussagen wollen. Der Titel ist insoweit durchaus treffend und es gelingt Filmemacherin Mahalia Belo eindrucksvoll, dem Publikum zumindest in Ansätzen sowie mit viel Fingerspitzengefühl zu vermitteln, was es bedeuten muss, sich in der Mutterrolle ganz allein zu fühlen, in einer Situation, die man nicht einzuordnen vermag. Das Sinnbild ist gelungen, wenn auch nicht subtil und Frauen, die dasselbe erlebt und es so empfunden haben, wie die Hauptfigur hier, werden sich selbst darin vermutlich wiederfinden. Dank einer beeindruckenden, packenden Darbietung von Jodie Comer ist das selbst dann berührend, wenn die Geschichte kaum vorankommt und für sich genommen nur wenig mitreißt. The End We Start From richtet sich an ein kleines Publikum, das bereit ist, sich auf die ruhige, abstrahierte Erzählung einzulassen, in der nicht alles einen Sinn ergeben muss. Für dieses ist das spürbar persönliche Drama zweifellos sehenswert.