Die Täuschung [2021]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 17. Dezember 2021
Genre: Kriegsfilm / Drama

Originaltitel: Operation Mincemeat
Laufzeit: 127 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: John Madden
Musik: Thomas Newman
Besetzung: Colin Firth, Kelly Macdonald, Matthew Macfadyen, Penelope Wilton, Johnny Flynn, Jason Isaacs, Lorne MacFadyen, Hattie Morahan, Simon Russell Beale, Paul Ritter, Mark Gatiss, Alexander Beyer, Nicholas Rowe, Gabrielle Creevy


Kurzinhalt:

Am 10. Juli 1943 entscheidet sich, ob die von Ewen Montagu (Colin Firth) und Charles Cholmondeley (Matthew Macfadyen) ein halbes Jahr lang vorbereitete „Operation Mincemeat“ gelingt, oder die Alliierten Truppen bei Sizilien in den sicheren Tod gehen werden. Zu Beginn des Jahres waren die Alliierten übereingekommen, in Sizilien den Vorstoß zu wagen, um das Festland Europa von der Herrschaft Nazideutschlands zu befreien. Eine mögliche Alternative wäre ein Vorstoß über Griechenland gewesen. Um die deutschen Streitkräfte auf eine falsche Fährte zu locken, starten Montagu und Cholmondeley zusammen mit ihrem Team für den Geheimdienst MI5, dem unter anderem Jean Leslie (Kelly Macdonald) und Hester Leggett (Penelope Wilton) angehören, eine waghalsige Operation. Eine Leiche soll mit gefälschten Dokumenten vor dem nach eigener Auskunft neutralen Spanien platziert werden. Die Unterlagen sollen auf eine Invasion der Alliierten in Griechenland deuten. Um die Täuschung überzeugend zu gestalten, erschafft das Team ein vollständiges Leben für diese Leiche, die den Namen William Martin erhält, einen Marineoffizier. Nicht nur, dass zahlreiche Militärs, darunter Rear Admiral Godfrey (Jason Isaacs), die Operation für abwegig halten, selbst Premierminister Winston Churchill (Simon Russell Beale) ist nicht überzeugt. Als der Plan unmittelbar in die Tat umgesetzt werden soll, wird die Finte noch in England enttarnt …


Kritik:
In Die Täuschung erzählt Filmemacher John Madden von der sogenannten „Operation Mincemeat“, ein britisches Täuschungsmanöver des Zweiten Weltkriegs, dessen Grundidee so absurd klingt, als sei sie einem Drehbuchautor eingefallen. Tatsächlich war an der Planung niemand geringeres als der weltberühmte Autor Ian Fleming beteiligt. Aber auch wenn ihm hier mehr Zeit eingeräumt wird, als die Figur eigentlich verdienen würde, im Zentrum steht eine Gruppe um zwei Offiziere, die mit der Ausführung der Operation betraut waren, auf deren Schultern das Gelingen der Eroberung Siziliens durch die Alliierten ruhte.

Sizilien wurde von britischen Strategen seinerzeit als beste Option gesehen, um Zugang zum Kern Europas zu erhalten, das von Nazideutschland besetzt wurde. Sizilien würde das Mittelmeer eröffnen und damit auch das italienische Festland. Die einzige Alternative wäre gewesen, über Griechenland vorzudringen. Sizilien war ein offensichtliches Ziel, weswegen die Alliierten besorgt waren, dass die deutschen Truppen sie dort erwarten würden. Da man sich jedoch auf Seite der Alliierten auf Sizilien geeinigt hatte, sollte ein Plan erdacht werden, wie man die deutschen Streitkräfte vom eigentlichen Ziel ablenken könnte. Ausgangspunkt hierfür war das vom Leiter des Marinenachrichtendienstes, Rear Admiral John Godfrey, in Umlauf gebrachte Trout Memo, das auf Täuschung setzte, um den Gegner zu verwirren. Darin skizziert war unter anderem der Plan, eine Leiche mit gefälschten Dokumenten auszustatten, die der Gegner für wahr annehmen sollte. Mitverantwortlich für dieses Szenario war James Bond-Autor Lieutenant Commander Ian Fleming, der den Film mit Kommentaren aus dem Off begleitet und über den Filmemacher Madden erstaunlich viel sagen möchte. So erklärt er beispielsweise, woher die Bezeichnung „M“ in den Bond-Filmen kommt, oder auch, woher Fleming seine Inspiration für die technischen Spielereien „Q“s bekommen hat. Sogar Moneypenny wird angedeutet und so nett all das klingt, es ist für die eigentliche Geschichte nicht wirklich notwendig.

Die wird getragen von Ewen Montagu und Charles Cholmondeley, wobei auf dem Buch des ersteren sowohl diese Verfilmung als auch die erste, Der Mann, den es nie gab [1956], basiert. Nachdem Montagu offiziell seinen Ruhestand erklärt, wird er für das „Twenty Committee“ tätig, das Gegenspionage- und Täuschungsmanöver des Britischen Geheimdienstes MI5 überwacht. In einer Zeit, in der Spione und Doppelspione in allen Ländern tätig sind, kommt diesem Komitee eine besondere Bedeutung zu, umso mehr, wenn der Ausgang des Krieges davon abhängen kann, wem man traut und wem nicht. Umso schwieriger, dass Montagus Bruder Ivor im Verdacht steht, mit den Kommunisten zusammen zu arbeiten. Es liegt an Montagu und Cholmondeley als Leiter des „Room 13“, eine Operation vorzubereiten, die so überzeugend sein muss, dass nicht nur die deutschen Streitkräfte, sondern im Zweifel sogar die eigenen Geheimdienste sie glauben würden.

Darum suchen sie sich eine Leiche, die als fiktiver Marineoffizier William Martin für die britische Krone in den Krieg ziehen soll, ausgestattet mit einer gefälschten Identität, einem vollkommen erdachten Leben, bis hin zu einem Liebesbrief in der Tasche – und gefälschten Dokumenten, die belegen sollen, dass die Alliierten bei Griechenland anlanden werden. Teil des Room 13 sind unter anderem die junge Witwe Jean Leslie, deren Foto als das der Freundin „Pam“ von Martin benutzt wird, und Hester Leggett, die schon seit vielen Jahren mit Montagu zusammenarbeitet. Durch die enge Zusammenarbeit kommen sich Ewen und und Jean näher, zumal es in der Ehe von Montagu bereits kriselte, ehe seine Frau auf Grund ihrer jüdischen Abstammung zusammen mit den Kindern vor den immer weiter vordringenden Nazis in den USA geflohen war. Der im Schatten seines im Krieg gefallenen Bruders stehende Charles hingegen, ist in Jean verliebt und bekommt von Godfrey eine Möglichkeit aufgezeigt, wie die Leiche seines Bruders überführt werden könnte, worum Charles’ Mutter ihn inständig bittet. Doch dafür müsste Charles Montagu hinsichtlich der Aktivitäten seines Bruders ausspionieren.

Der deutsche Titel Die Täuschung ist somit weitaus passender, als man vermuten würde, denn der Feind wird hier nicht nur auf der anderen Seite gesehen. Nicht zu Unrecht, wie sich herausstellt. Filmemacher John Madden beschäftigt sich gleichermaßen mit den militärischen Vorbereitungen hinter der Operation wie auch mit seinen Figuren und ihren privaten Herausforderungen. Die Balance gelingt überraschend gut, wobei das vermeintliche Liebesdreieck nie wirklich ausgesprochen, sondern die Absichten der Figuren lediglich mit Blicken angedeutet werden. Zu sehen, wie der innerste Kreis des Room 13 die Geschichte von William Martin aufbaut, sie eine Figur quasi aus dem Nichts erschaffen, ist so unterhaltsam wie faszinierend. Dass nicht nur die beiden Hauptcharaktere Montagu und Cholmondeley, beide mit vielen Nuancen verkörpert von Colin Firth und Matthew Macfadyen, zur Geltung kommen, sondern auch Kelly Macdonald als Jean und Penelope Wilton als Hester Momente zugeschrieben bekommen, in denen sie glänzen dürfen, ist den Verantwortlichen hoch anzuerkennen.

Dies liegt auch daran, dass die Dialoge rundum toll geschrieben sind. Pointiert und mit vielschichtigen Aussagen, ist nicht nur der erdachte Liebesbrief von Pam an Martin einfach erstklassig. Gerade die Streitgespräche, die in der zweiten Filmhälfte deutlich zunehmen, wenn sich die Situation zuspitzt, sind packend aufgebaut. Mag sich die Vorbereitung der Operation mit den zahlreichen Zusammenhängen und Charakteren in der ersten Hälfte etwas lang anfühlen, entwickelt Die Täuschung insbesondere im letzten Drittel daraus einen ebenso spannenden wie unterhaltsamen Spionagefilm, bei dem zwar auch einige Punkte, wie Ewens Bruder, offen bleiben, der aber gerade auf Grund dieser vielen verschiedenen Aspekte überzeugt. Erfreulich unaufgeregt inszeniert, trägt auch Thomas Newmans Musik zu der gelungenen Stimmung bei. Mehr kann man kaum erwarten.


Fazit:
Ein Thema, das die Erzählung durchweg prägt, sind die unterschiedlichen Arten von Kriegen, die geführt werden. Ein sichtbarer mit Waffen und Bomben, und ein unsichtbarer der Lügen und der Täuschung. Beides wird hier zum Leben erweckt, wobei sich die Erzählung auf letzteres konzentriert. Nebenbei werden die Auswirkungen der erstgenannten Art des Krieges gezeigt, wenn die Menschen in London nachts aus Angst vor den Luftangriffen kein Licht anmachen dürfen. Dies geschieht so beiläufig, dass man die überzeugende Gesamtsituation beinahe übersehen könnte. Die Balance zwischen militärischer Operation und den privaten Personen dahinter, ist so unerwartet wie treffend und vor allem von allen Beteiligten bemerkenswert gespielt. Sieht man, wie der Plan zu scheitern droht und zahlreiche Beteiligte mit höchstem persönlichen Einsatz gefordert sind, ist das packender, als in den meisten Bond-Filmen. Tadellos inszeniert, fällt daher kaum ins Gewicht, dass manche Trickeffekte eher an eine TV-Produktion erinnern. Trotz der ernsten Geschichte und des Hintergrunds einer der erschreckendsten Epochen der Menschheitsgeschichte, ist Die Täuschung erstaunlich unbeschwert, so dass, unabhängig davon, inwieweit dies historisch korrekt ist, John Madden sehenswertes Geschichtskino für ein breites Publikum gelingt. Klasse!