Der Unsichtbare [2020]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 29. März 2020
Genre: Thriller / Horror / Science Fiction

Originaltitel: The Invisible Man
Laufzeit: 124 min.
Produktionsland: Australien / USA / Kanada / Großbritannien
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Leigh Whannell
Musik: Benjamin Wallfisch
Besetzung: Elisabeth Moss, Harriet Dyer, Aldis Hodge, Storm Reid, Oliver Jackson-Cohen, Michael Dorman, Benedict Hardie, Renee Lim, Brian Meegan


Kurzinhalt:

Eine Flucht mitten in der Nacht ist der einzige Befreiungsschlag, der Cecilia Kass (Elisabeth Moss) noch bleibt. Ihre Beziehung zu dem erfolgreichen und renommierten Wissenschaftler Adrian Griffin (Oliver Jackson-Cohen) war geprägt von seiner Kontrollsucht und Gewalt. Selbst, nachdem sie mit Hilfe ihrer Schwester Emily (Harriet Dyer) von ihm los- und bei dem Polizisten James (Aldis Hodge) und dessen Tochter Sydney (Storm Reid) untergekommen ist, setzt sie kaum einen Fuß vor die Tür. Immer beherrscht von der Angst, Adrian könnte sie finden. Doch dann teilt Emily Cecilia mit, Griffin habe Selbstmord begangen. Sein Bruder und Nachlassverwalter Tom (Michael Dorman) eröffnet ihr, dass Cecilia fünf Millionen Dollar geerbt hat. Kurz darauf ereignen sich seltsame Dinge in Cecilias Umgebung und ständig hat sie das Gefühl, sie würde beobachtet. Immer mehr gerät sie zu der Überzeugung, dass Adrian gar nicht tot ist, sondern einen Weg gefunden hat, sich unsichtbar zu machen, und sie immer noch verfolgt …


Kritik:
Die Neuinterpretation des Science Fiction-Klassikers Der Unsichtbare von Regisseur Leigh Whannell ist über weite Strecken eine solch unerwartete Überraschung, dass es umso bedauerlicher ist, wenn sich der Filmemacher von seinem anfänglichen Konzept verabschiedet und ein letztes Drittel präsentiert, das inhaltlich zuerst auf der Stelle zu treten scheint und dann allzu absehbar gerät. Das schmälert am Ende jedoch weder die interessante Prämisse, noch die sehenswerte Leistung von Hauptdarstellerin Elisabeth Moss.

Sie spielt Cecilia Kass, der es gelingt, mitten in der Nacht vor ihrem Besitz ergreifenden Ehemann, dem brillanten Wissenschaftler Adrian Griffin, zu fliehen. Was genau er ihr angetan hat, verrät sie selbst ihren Freunden und ihrer Schwester erst deutlich später. Sie hat Misshandlungen erlitten, die über körperliche Qualen allein hinausgehen. So wundert es nicht, dass sie selbst Wochen nach der erfolgreichen Flucht kaum wagt, vor die Tür zu gehen. Untergekommen bei dem allein erziehenden Polizisten James und seiner Tochter Sydney, wagt sie es kaum, einen Fuß vor die Tür zu setzen, immer in der Angst, Adrian würde sie finden. Doch dann erreicht Cecilia die Nachricht, dass ihr Peiniger sich das Leben genommen haben soll. Sie erbt eine beträchtliche Summe, die ihr über die kommenden Jahre von Adrians Bruder Tom ausgezahlt wird – aber nur, solange sie nicht straffällig wird. Allerdings wird Cecilia das Gefühl nicht los, jemand würde sie beobachten, selbst wenn sie allein im Zimmer ist. Als dann noch einige seltsame Dinge geschehen, ist sie sich sicher, dass Adrian in Wahrheit gar nicht tot ist, sondern einen Weg gefunden hat, sich unsichtbar zu machen, und sie weiter quält.

Nicht nur, dass der Filmemacher Whannell damit die Perspektive der Figuren bei Der Unsichtbare gegenüber bisherigen Adaptionen der Vorlage verlagert, hätte Cecilia Recht, würde dies auch die Idee von H. G. Wells’ gleichnamigem Romanklassiker auf den Kopf stellen, in dem der moralische Verfall der ebenfalls Griffin genannten Hauptfigur das Resultat seiner Unsichtbarkeit ist, während hier die Unsichtbarkeit das Ergebnis der moralischen Abgründe darstellen würde. Vor allem aber gelingt dem Regisseur und Drehbuchautor eine unversehens greifbare und ebenso unerwartete Parallele, wie es sich für Opfer gewalttätiger, kontrollierender Beziehungen anfühlen muss, wenn die unterdrückende Person eine Präsenz im Leben der Opfer einnimmt, ohne wirklich dort zu sein. Das heißt, in der ersten Filmhälfte spielt es keine wirkliche Rolle, ob Griffin tatsächlich überlebt hat; allein was die Vorstellung, er könnte noch leben, mit Cecilia anrichtet, ist ebenso erschreckend zu beobachten.

Hieraus zieht der Film seine stärksten und beunruhigendsten Momente, so dass die erste Stunde von Der Unsichtbare nicht nur dicht erzählt, sondern spürbar unheimlich geraten ist. Nur kommt es, wie es in diesen Fällen immer kommen muss, dass das Mysterium, ob Griffin seinen Tod nur vorgetäuscht hat, auch aufgelöst wird. Immerhin könnte es auch sein, dass Cecilia sich all dies nur einbildet. In welche Richtung sich die Geschichte von hieran weiterentwickelt, sei nicht verraten. Es soll genügen zu sagen, dass es einen Moment gibt, der so unerwartet und auch visuell gewalttätig ist, dass das Publikum völlig unvorbereitet getroffen wird. Dank der gelungenen Besetzung folgt man der Story auch dann, wenn sie sich inhaltlich in deutlich absehbarere Bahnen begibt. Es fällt allerdings auf, dass das letzte Drittel im Grunde nur Situationen wiederholt, die es zuvor bereits zu sehen gab, wenn auch in anderer Umgebung. Das heißt nicht, dass was man sieht nun schlecht dargebracht wäre, ganz im Gegenteil. Es ist nur nicht mehr so spannend wie zuvor.

Man sollte dabei sicher auch berücksichtigen, für welches Budget Der Unsichtbare realisiert wurde. Mit Produktionskosten von nur sieben Millionen Dollar ist dies nur ein Bruchteil dessen, was die letzte große Hollywood-Adaption der Vorlage, Hollow Man – Unsichtbare Gefahr [2000] vor zwei Jahrzehnten gekostet hat. Dass sich Regisseur Leigh Whannell deshalb nicht auf den (un)sichtbaren Horror versteift, sondern die Bedrohung in Cecilias Verstand und dem des Publikums entstehen lässt, ist nicht verwunderlich und auch kein Kritikpunkt. Auch nicht, dass seine Inszenierung stellenweise arg dunkel geraten ist. Es ist durchaus als Kompliment zu sehen, dass Der Unsichtbare merklich teurer aussieht, als er war. Würde die Geschichte im letzten Drittel einen anderen Verlauf nehmen, entweder dem unheimlichen Beginn treu bleiben, oder sich von den absehbaren Entwicklungen anderer Hollywood-Produktionen fernhalten, dann könnte die Neuinterpretation nicht nur 15 Minuten kürzer ausfallen, sondern ebenso packend wie der Beginn. Doch diese Kritikpunkte verblassen angesichts dessen, was den Machern hier insgesamt gelingt.
Umso bedauerlicher ist es, dass nur drei Wochen nach Kinostart auf Grund der aktuellen Situation die Kinos geschlossen werden mussten und dem Film nicht das Publikum zuteil wird, das er hätte haben können. Vielleicht ist ihm ein zweiter Erfolg im Heimvideosegment vergönnt. Verdient wäre es.


Fazit:
Anstatt die psychologischen Auswirkungen auf eine Person zu beobachten, die von niemandem mehr wahrgenommen wird, was dies mit ihr macht und was sie in dieser Situation macht, dreht Regisseur Leigh Whannell die Ausgangslage um und präsentiert Der Unsichtbare als Psychothriller, bei dem Opfer von Unterdrückung und Gewalt ihre Peiniger auch dann wahrnehmen, wenn scheinbar niemand im Raum ist – wie eine unsichtbare Macht. Das ist überraschend und in der ersten Hälfte geradezu bedrückend unheimlich. Mit ruhiger Hand umgesetzt, ist das stellenweise mehr Drama als Thriller, was nicht negativ gemeint ist. Ab der Hälfte wird die Bedrohung für Cecilia nur greifbarer, aber auch wenn das letzte Drittel handwerklich ebenso gelungen ist, kehrt die Erzählung inhaltlich zu bekannten Mustern und einem absehbar klingenden Verlauf zurück. Dass sich Situationen wiederholen, stört deshalb nicht, weil sie gut umgesetzt sind, aber notwendig sind manche Zwischenstopps hier nicht. Insgesamt jedoch ist dies ein bedeutend stimmungsvollerer und stimmigerer Film, als zu erwarten war, der auch dank einer starken Darbietung von Elisabeth Moss in Erinnerung bleibt. Als Neuinterpretation des bekannten Stoffes ist das überaus gelungen und für ein Publikum, das keinen Actionfilm erwartet, eine eindeutige Empfehlung.