Der Fuchs [2022]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 19. Dezember 2022
Genre: Drama / BiografieLaufzeit: 117 min.
Produktionsland: Deutschland / Österreich
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Adrian Goiginger
Musik: Arash Safaian
Besetzung: Simon Morzé, Karl Markovics, Adriane Gradziel, Marko Kerezovic, Alexander Beyer, Stan Steinbichler, Pit Bukowski, Cornelius Obonya, Jannik Görger, Patrick Simons, Karola Maria Niederhuber, Maximilian Echtinger, Raphael Muff, Alduin Gazquez
Kurzinhalt:
Bauernsohn Franz Streitberger (Simon Morzé) ist erst acht Jahre alt, als sein Vater Josef (Karl Markovics) ihn im Jahr 1927 an einen wohlhabenden Bauern übergibt. In einer armen Familie im Salzburger Land aufgewachsen, bei der das spärliche Essen danach verteilt wurde, wer die meisten Überlebenschancen hatte, muss Franz bei seinem neuen Herrn nicht nur arbeiten und wird versorgt, er kann auch zur Schule gehen. Zehn Jahre ist er dort Knecht, ehe er mit Eintritt in die Volljährigkeit frei wird. Franz schließt sich dem Bundesheer an und findet sich nach Beginn des Zweiten Weltkrieges in die Wehrmacht eingegliedert wieder. Kurz vor Beginn des Angriffs auf Frankreich, bei dem er in der ersten Welle als Motorradkurier teilnimmt, findet der introvertierte Soldat einen verwundeten Fuchswelpen. Er nimmt das Tier auf und versorgt es wie sein eigenes Kind. Die ungewöhnliche Freundschaft reißt nie verheilte Wunden bei Franz auf …
Kritik:
In Der Fuchs erzählt Filmemacher Adrian Goiginger aus dem Leben seines Urgroßvaters Franz Streitberger, der während des Zweiten Weltkriegs als Motorradkurier an die französische Front kam. Doch der Film handelt weniger davon, was ihm dort widerfuhr. Im Zentrum des sehr persönlichen Charakterporträts steht ein Trauma, das so prägend war wie die Begegnung mit dem Titel gebenden Fuchs, und wie der junge Mann versucht, mit Ersterem umzugehen. Bedächtig erzählt, ist das überaus sehenswert.
Die Erzählung beginnt im Jahr 1927. Die Familie Streitberger lebt im Bezirk Pinzgau in den österreichischen Alpen. Es ist ein entbehrungsreiches, hartes Leben. Der achtjährige Sohn Franz geht nicht zur Schule. Er hilft auf dem Hof, pflückt Kartoffeln oder holt Wasser, ohne Schuhe und bis zur körperlichen Erschöpfung. Abends sitzt die große Familie beim Schein einer Kerze am Tisch und teilt das wenige Essen auf. Als Vater Josef das Sorgerecht seines Sohns einem wohlhabenden Bauern überlässt, bricht für den Jungen eine Welt zusammen. Zehn Jahre lebt Franz dort als Knecht auf dem Hof und mit dem Eintritt der Volljährigkeit verlässt er ihn für sein eigenes Leben. Er kommt zuerst zum österreichischen Bundesheer und nach dem Anschluss des Landes an Deutschland zur Wehrmacht. Kurz bevor der Angriff Nazideutschlands auf Frankreich beginnt, findet Franz im Wald einen Fuchswelpen, dessen Mutter vor seinen Augen gestorben ist. Er nimmt das Jungtier bei sich auf, kümmert sich darum und transportiert es im Seitenwagen seines Motorrads sogar von Einsatz zu Einsatz. Währenddessen sieht er Kriegsschrecken, Gewalt und Grausamkeiten, doch ist dieser historische Hintergrund letztlich nur dies, ein Hintergrund.
Je mehr Zeit Franz mit dem Fuchs verbringt und je intensiver die Verbindung zwischen ihnen, umso traumatischer ist es für ihn, wenn sie getrennt werden. Beispielsweise, weil Franz wegen Befehlsverweigerung für zehn Tage unter Arrest gestellt wird. Franz selbst ist ein Außenseiter, schweigsam und nicht einmal mit seinen Kameraden, auf die er sich verlassen können muss, wirklich vertraut. Einzig in Toni Dillinger hat er einen Freund, dem er sich doch nicht anvertrauen kann. Das Trauma, nicht einmal von seiner Familie entrissen zu werden, sondern weggegeben worden zu sein, sitzt tief. Der Fuchs stellt die Person im Zentrum als jemanden vor, der sich nirgendwo zugehörig sieht. Mit keinem anderen Menschen fühlt er sich so sehr verbunden wie mit jenem Fuchs und sieht man, wie er sich für das Tier aufopfert, wie er in dessen Nähe aufblüht und es ihn körperlich mitnimmt, wenn er getrennt ist, dann wird deutlich, dass Franz für den Fuchs der Vater sein möchte, verlässlich und fürsorglich, den er selbst nie hatte.
In seinem Motorrad als Einzelgänger unterwegs, könnte allenfalls seine Zeit mit der Französin Marie als so etwas wie eine Beziehung gesehen werden, doch wie sich dies genau darstellt, lotet Filmemacher Goiginger nicht aus. Auch nicht, ob Franz das, was er sieht und tut im Krieg, in irgendeiner Form beschäftigt. Der Fuchs zeigt beiläufig Kriegsgräuel und schildert, wie sich die Truppen der Wehrmacht in Frankreich breit machten und plünderten. Aber die Darstellung dieses Aspekts bleibt ebenso wie das, was mit den Frauen in den besetzten Gebieten geschieht, im Unklaren. Es ist, als wollte die Erzählung dies ausblenden, um sich darauf konzentrieren zu können, wie die zutiefst traumatisierte Hauptfigur die Kindheit und was ihm widerfahren ist, verarbeitet. Das ist kein Kritikpunkt, zumal diese Entwicklung dank der starken Darbietung von Simon Morzé in der Rolle des Franz Streitberger sehr greifbar wird.
Doch hierfür nimmt sich Der Fuchs viel Zeit, in der man andere Themen, die hier am Rande vorgestellt werden, ebenfalls hätte vertiefen können. Auch ohne Franz als Soldat, der in dem Moment tut, was er für richtig hält, zu verurteilen. Doch mit mehr Kontext, der hier zu ganz offenbar fehlt. Ungeachtet dieser erzählerischen Entscheidung fängt Regisseur Adrian Goiginger sein Porträt im für heutige Kinoproduktionen eher ungewöhnlichen, aber für Porträts umso passenderen 4:3-Format ein. Die natürlichen Lichtquellen unterstreichen die Authentizität ebenso wie die beeindruckende Ausstattung und eine bemerkenswerte Besetzung, bei der auch Karl Markovics’ kurzer Auftritt in Erinnerung bleibt.
Fazit:
Auch wenn er sich kaum ein Wort entlocken lässt, sieht man Franz Streitbergers Blick in vielen Situationen, wird seine innere Zerrissenheit greifbar. Die erstklassige Darbietung steht ebenso im Zentrum des Historiendramas wie Franz’ Beziehung zu dem jungen Fuchswelpen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Kriegsgräuel könnte diese fürsorgliche Verbindung zwischen Mensch und Tier wie ein Leuchtfeuer der Menschlichkeit angesichts unmenschlicher Grausamkeit strahlen. Doch einen solchen Kontrast unterstreicht Regisseur Adrian Goiginger nicht. Wie sehr seine Erlebnisse in Frankreich Franz überhaupt beschäftigen, thematisiert der Film nicht. Stattdessen konzentriert sich die Erzählung darauf, wie seine traumatische Kindheit Franz immer noch im Griff hat. Mit etwas mehr künstlerischer Freiheit hätte die Chronik, die 19 Jahre überdeckt, mehr sein können. Für sich gesehen ist Der Fuchs ein toll bebildertes, einfühlsames und spürbar persönliches Porträt, das die Wunden offenlegt, die einen Menschen prägen. Als solches ist er so wertvoll wie gelungen.