Animatrix: "Der letzte Flug der Osiris" [2003]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 18. April 2003
Genre: Science Fiction / Action / Animation

Originaltitel: The Final Flight of the Osiris
Laufzeit: 9 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2003
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Andy Jones
Musik: Don Davis
Darsteller: Kevin Michael Richardson, Pamela Adlon, John DiMaggio, Tom Kenny, Rick Gomez, Tara Strong, Bette Ford


Kurzinhalt:
Die Osiris, ein Menschenschiff, das abgekoppelt von der Welt der Matrix in der wirklichen Welt umherfliegt und sich vor den herrschenden Maschinen in Acht nehmen muss, stößt bei einem Erkundungsflug auf etwas Unfassbares: Die Maschinen graben sich ihren Weg zu Zion, der einzigen unter der Erde existierenden Stadt freier Menschen. Sie planen, dadurch den Widerstand gegen die Matrix endgültig zu zerstören.
Zion und seine Einwohner müssen unbedingt gewarnt werden. Deshalb begibt sich Crewmitglied Jue (Pamela Adlon ) in die Matrix, um eine Nachricht für ihre Mitstreiter zu hinterlassen. Währenddessen wird die Osiris in der Realität von den Maschinen angegriffen, und tritt somit einen letzten, heldenhaften Flug unter der Leitung ihres Captains Thadeus (Kevin Michael Richardson) an.


Kritik:
Es mag auf den ersten Blick etwas überzogen scheinen, für einen neunminütigen Kurzfilm eine Kritik zu schreiben; wer allerdings ein Fan der Matrix-Reihe ist, und sich auf den zweiten Teil Matrix: Reloaded [2003] einstimmen will, kommt um diesen "Appetit-Happen", der gleichzeitig Teil der Kurzfilmsammlung Animatrix [2003] ist, nicht herum – und es lohnt sich wirklich!

Als Matrix 1999 in die Kinos kam, schlug der Film ein, wie eine Bombe, und das trotz der recht hohen Alterseinstufung in den USA ("R" - "Ab 17 Jahren"). Die Geschichte, die Ausstattung und nicht zuletzt die Revolution der Actioninszenierung faszinierte die Zuschauer und verleitete viele Filmemacher zum ideenlosen Plagiatismus. Die sogenannte Bullet-Time, eine Technik, bei der die Kamera 360° um das Geschehen fährt, während die Szene selbst in Zeitlupe gezeigt wird, ist heute in Film- und Fernsehen überall zu finden – doch nirgends so passend wie bei dem Film der Brüder Andy und Larry Wachowski. Dieses Jahr kommen zwei Fortsetzungen ins Kino, die am Stück abgedreht wurden und mit noch ausgefeilteren Techniken und unglaublicheren Stunts die Konkurrenz auf die Plätze verweisen sollen.
Um die eigentliche Hintergrundgeschichte zur Matrix zu erzählen, und um das neu gegründete Franchise gebührend auszuschlachten, wurden von den Wachowski-Brüdern neun Kurzfilme autorisiert – einige davon sogar von ihnen selbst geschrieben –, die stilistisch jeweils vollkommen anders umgesetzt sind und die Handschrift ihrer verschiedenen Macher tragen. Einflüsse aus japanischen Animes sind wie bereits in Matrix auch in den Kurzfilmen zu finden. Die neun Minifilmchen werden Animatrix genannt und kurz nach der Kinopremiere des zweiten Films auf DVD erscheinen.

Einer dieser Kurzfilme ist eben Der letzte Flug der Osiris, geschrieben von den Wachowski-Brüdern selbst und realisiert unter der Leitung von "Square", den Machern des Pixel-Animationsfilms Final Fantasy – Die Mächte in Dir [2001]. Als jener Film vor zwei Jahren in die Kinos kam, waren die Erwartungen hoch, aber auch einige gute Kritiken konnten den Film vor dem finanziellen Kollaps nicht bewahren. Der Grund hierfür war ansich relativ einfach und abzusehen: Final Fantasy war im Gegensatz zu den bisherigen Computeranimationsfilmen Toy Story [1995] oder Shrek [2001] in keinster Weise ein Kinderfilm. Mit der düsteren, ruhigen und erwachsenen Story stießen die Macher viele Zuschauer ebenso vor den Kopf, wie mit dem nie zuvor dagewesenen Realismus, was das Aussehen der Landschaften und der Charaktere angeht.
Zwar waren die digitalen Akteure immer noch deutlich von echten Menschen zu unterscheiden, aber es ist keine Übertreibung zu sagen, dass man auf der Leinwand praktisch die letzte Stufe vor dem photorealistischen CGI-Menschen gesehen hat. "Square" ist gerade im Hinblick auf die Qualität der Personen und Hintergründe der Konkurrenz von "Pixar" oder "DreamWorks" heute noch um Jahre voraus. Doch wie es scheint, war die Welt damals nicht bereit für einen solchen Quantensprung.

Die Filmemacher der Matrix waren von der Technik allerdings so angetan, dass sie "Square" die wichtigste Animatrix zukommen ließen, da sie die unmittelbare Vorgeschichte von Matrix: Reloaded erzählt.
Hierfür haben die Animationsmeister die Technik aus Final Fantasy weiter verfeinert und verbessert, herausgekommen sind noch realistischere Charaktere, die zu Anfang kaum von realen Menschen zu unterscheiden sind, und Animationen, die aus dem Leben gegriffen scheinen. Kombiniert mit der intelligenten Story und den Matrix-typischen Kamerabonbons ergibt das den visuell interessantesten und unterhaltsamsten Kurzfilm aus der Animatrix.

Die Geschichte beginnt in einem Trainingsraum, ähnlich dem aus Matrix, in dem sich ein Mann und eine Frau mit verbundenen Augen ein Duell liefern und dabei immer weiter gegenseitig entkleiden. Wer sich auch nur im geringsten für Matrix und allgemein die Computeranimation begeistern kann, wird schon während der ersten Minuten unwillkürlich ein Schmunzeln oder Lächeln auf sein Gesicht gezaubert bekommen.
Den Machern ist das Kunststück gelungen, den Zuschauer innerhalb weniger Sekunden durch die Szenen einzunehmen und ihn für das durchaus erotische Kräftemessen zu begeistern.
Doch lange bleibt es nicht bei der Idylle: Als die Crew der Osiris bemerkt, dass die Maschinen sich den Weg zur letzten Menschenstadt bahnen, geraten sie in eine ausweglose Situation – hier beginnt bereits das Actionfinale des Kurzfilms, das den Vergleich mit "realen" Filmen nicht zu scheuen braucht.

Ganze 13 Monate dauerte die Entstehung von Der letzte Flug der Osiris – und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Wenn sich Jue und Thadeus zu Beginn das Duell liefern, und die Muskeln unter der Haut spannen, die Adern sichtbar werden und sich als weiteres Detail auch noch die Fahnen an der Wand leicht bewegen, dann stehen schon aufgrund der Poren in der virtuellen Haut der Akteure, der vollkommen realistischen Bewegungen und der phänomenalen Schärfe/Unschärfe-Tricks die Münder zahlreicher Zuschauer offen. Licht, Schatten, Staub, Luftverwirbelungen und das authentisch schwingende Haar der Kämpferin sind nur ein paar Details die es einem einfacher als je zuvor machen, die Grenze zwischen virtueller und wirklicher Realität zu vergessen.

Wenn das Geschehen aus dem Trainingsraum in die quasi-realen verrosteten Schiffsräume, sowie verwüstete Landschaften wechselt, wird ein noch höherer Detailgrad sichtbar. Nicht nur, dass die Außenszenen demselben hohen Niveau wie bei Matrix: Reloaded entsprechen, Dynamik und Geschwindigkeit, mit der die Szenen gezeigt werden, sind beispiellos. Dank des verlustfreien Transfers auf DVD kommen die Zuschauer hier in einen Genuß, der den vom Kino bei weitem übersteigt. Das Hitzewabern und die sich langsam bewegenden Wolken sind nur die Tüpfelchen auf den vielen "i"s, die es zu entdecken gilt.
Daran mangelt es auch nicht, wenn sich Jue engelsgleich in der Matrix-Welt bewegt – der Aufwand der Macher war in der Tat enorm.
Wenn Der letzte Flug der Osiris nicht zumindest für den Oscar als bester Kurzanimationsfilm nominiert wird, haben sich die Verantwortlichen in Hollywood endgültig selbst disqualifiziert.
Was einen allerdings bei dem Osiris-Abenteuer wirklich ärgern kann, ist die Lauflänge: Mit 9 Minuten ist der Film mindestens 90 Minuten zu kurz geraten, aber schließlich soll es ja nur ein Kurzfilm sein.
Für Staunen sorgt im Übrigen auch der Ton, der exzellent abgemischt ist und Zuschauert sofort mitten in die Ereignisse bringt; ganz offensichtlich lag bei den neun Animationskurzfilmen der Animatrix der meiste Aufwand auf Osiris – glücklicherweise.

Fans sollten zudem die englische Original-Fassung bevorzugen, durch die Synchronisation geht trotz der ansich soliden Umsetzung Einiges an Flair verloren.

Mit einer interessanten Geschichte, die mit viel Details und Dynamik versehen ist, zeigen die Macher ihren Konkurrenten sowohl von der Animatix, als auch generell der Computeranimation, wo der technische Hammer hängt. Düster, ernst und melancholisch präsentiert sich Der letzte Flug der Osiris und stimmt den Zuschauer treffend auf den zweiten Teil der Matrix-Trilogie ein.
Ein Kurzfilm, den man sich immer wieder anschauen kann und dabei jedes Mal etwas Neues entdeckt.


Fazit:
Final Flight of the Osiris, so der Originaltitel, ist zweifellos das Highlight der Animatrix, und wird von den anderen Kurzfilmen auch in keiner Sekunde übertroffen.
Die Story ist nicht nur ein Schlüssel zum zweiten Teil der Matrix-Trilogie, sie ist visuell interessant umgesetzt und mittels einer Technik erstellt worden, die derjenigen der anderen Hollywood-Pixel-Schmieden um Lichtjahre voraus ist.
Spannend, beeindruckend, einzigartig.