Home is the Ocean [2024]

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Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 24. August 2025
Genre: Dokumentation

Originaltitel: Home is the Ocean
Laufzeit: 94 min.
Produktionsland: Schweiz
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ab 0 Jahren

Regie: Livia Vonaesch
Musik: Diego Baldenweg, Lionel Baldenweg, Nora Baldenweg
Personen: Dario Schwörer, Sabine Schwörer, Salina Schwörer, Andri Schwörer, Noé Schwörer, Alegra Schwörer, Mia Schwörer, Vital Schwörer


Hintergrund:

Sechs Kinder hat das Ehepaar Dario und Sabine Schwörer gewissermaßen auf hoher See bekommen, seit sie ihr Klimaprojekt vor über 20 Jahren begonnen haben. Seitdem segeln sie über die Weltmeere, halten Vorträge, sammeln mit Schulklassen Plastik aus dem Meer oder beteiligen sich an wissenschaftlichen Forschungen. Über 100 Länder haben sie angefahren, Tonnen an Plastikmüll zusammengetragen. Doch so abenteuerlich sich dies anhört, an Bord gibt es ganz eigene Herausforderungen. Vom fehlenden Platz oder den Rückzugsmöglichkeiten, bis hin zu Fragen der Erziehung oder wie man bei einem solchen Leben Wurzeln schlagen kann. Livia Vonaesch hat die Familie über einen Zeitraum von sieben Jahren begleitet und auch gesehen, wie sie sich nach einem Sturm, der sie in ein „normales“ Leben an Land gezwungen hat, den Fragen ihrer Lebensentscheidungen stellen musste.


Kritik:
In ihrem Langzeitporträt Home is the Ocean bietet Livia Vonaesch einen Einblick in den Lebensentwurf der Familie Schwörer, die seit einem Vierteljahrhundert in einem Segelboot über die Weltmeere fährt. Was sich auf den ersten Blick nach einem großen Abenteuer anhört, kommt bei genauerem Hinsehen mit so vielen Herausforderungen und Einschränkungen einher, dass es für ein Großteil des Publikums wie eine Strafe klingen wird. Einnehmend wie faszinierend erzählt, bleiben bei dem Dokumentarfilm allerdings zwei Aspekte außen vor.

Das erste, was man wahrnimmt, noch bevor man sich wirklich orientieren kann, ist der Klang einer unablässigen Bewegung. Das Knarzen von Holz, das aneinanderreibt und das Wasser, das sich an der Außenhaut des Bootes bricht. Nur mit einer Stirnlampe als Lichtquelle ausgestattet, muss sich, wer immer Wache hält, im Dunkeln auf dem kalten Boot orientieren. Die zu Beginn siebenköpfige Besatzung ist eine multinationale Familie. Die fünf Kinder von Dario und Sabine Schwörer sind in unterschiedlichen Ländern auf verschiedenen Kontinenten zur Welt gekommen. Von der Teenagertochter bis zur Jüngsten, die gerade einmal ein Jahr als ist. Wer alt genug ist, muss sich an Bord einbringen, angefangen von der Arbeit unter Deck, bis hin zum höchsten Mast. Der Lohn ist ein familiärer Zusammenhalt, den nur wenige Familien erreichen, wobei auch die Kinder bereits eine Verantwortung tragen, die vielen Erwachsenen Angst einjagen könnte. Aber nur, weil die Kinder kein anderes Leben kennen, bedeutet das auch, dass sie sich kein anderes wünschen?

Filmemacherin Vonaesch begleitet diese Familie über einen Zeitraum von sieben Jahren, in denen die älteren Kinder zu Jugendlichen werden, die eigene Wege gehen wollen. Sei es, dass sich das Abenteuerflair irgendwann abnutzt, oder die wenigen Wochen, in denen sie an den Anlegepunkten in eine schulische Gemeinschaft eingebunden sind, ihnen auch verdeutlichen, was ihnen im Leben fehlt. Ohne einen festen Ort, den man sein Zuhause nennen kann, ist es so gut wie unmöglich, Freundschaften zu schließen oder andere Bezugspersonen als die eigene Familie zu finden. Die wohnt auf der 15 Meter langen Jacht auf etwa 20 Quadratmeter – zu siebt und ein weiteres Kind ist unterwegs. So etwas wie Privatsphäre gibt es nicht, es gibt nicht einmal genügend Platz, dass sich alle an einen Tisch setzen können. Gegessen wird, was der Seegang zulässt. Was sich anhört, als könnte man sich dies für ein verlängertes Wochenende oder einen Kurzurlaub vorstellen, ist der Alltag für diese Familie. Für manche bereits ihr ganzes Leben lang. Mutter Sabine meint in einem Moment, dass das Gefühl von „Freiheit“, das sich beim Anblick eines Segelbootes auf dem Meer einstellt, in ihrer Realität anders aussieht.

Was also bewog den Bergführer Dario, zusammen mit seiner Frau all ihr Hab und Gut auf ein Segelboot zu packen, um die Weltmeere zu bereisen? Home is the Ocean widmet sich dieser Frage kaum. Zwar wird erzählt, dass ihnen bei ihren Aufstiegen in den Schweizer Alpen die Auswirkungen des Klimawandels auf erschreckende Weise deutlich wurden und sie sich entschlossen, sich aktiver einzubringen. Wie es zu dem Sprung zu einem Leben auf dem Boot kam, und welche Diskussionen sie führten auch in Anbetracht ihrer wachsenden Familie, wird aber ausgeklammert. Ebenso bleibt die Frage offen, wie sie ihre Jahrzehnte dauernde Expedition finanzieren. An ihren jeweiligen Zielen halten sie Vorträge, sammeln Plastikmüll mit Schulklassen, vor denen sie sprechen, und nehmen Proben an entlegenen Orten der Welt, die untersucht werden. Aber wonach suchen sie ihre Ziele aus? Klimatologe Dario Schwörer und seine Frau Sabine haben die gemeinnützige Organisation TOPtoTOP gegründet, eine Globale Klima Expedition. Viel mehr Details als diese erfährt man allerdings nicht. Dabei gäbe es genügend über ihr Engagement in inzwischen 100 Ländern zu erzählen oder darüber, dass ihre Forschungsergebnisse auch in den Bericht des Weltklimarats eingeflossen sind.

Home is the Ocean konzentriert sich weniger auf den beruflichen Hintergrund der Familie Schwörer und ihre „Mission“ als auf ihr Leben auf beengtem Raum und hoher See seit vielen, vielen Jahren. Hier gibt es auch zahlreiche Eindrücke, die in Erinnerung bleiben und man muss sich durchaus fragen, ob Kinder, die es gewohnt sind, Wale und andere Meeresbewohner neben ihrem Zuhause schwimmen zu sehen, jemals ein „normales“ Leben an Land akzeptieren können. Aber während Filmemacherin Vonaesch die Auswirkung der Isolation dieser Familie in Hinblick auf die Entwicklung der ältesten Kinder beleuchtet, bleiben die Erwachsenen, insbesondere Familienvater Dario, merklich außen vor. Das schmälert nicht die Wirkung der Bilder oder wie eindringlich die Situation an Bord vermittelt wird. Aber es bleibt das Gefühl, dass das Porträt einen Hintergrund besitzt, der hier kaum ausgeleuchtet wird.


Fazit:
Sieht man, wie Dario und Sabine nach einem verheerenden Sturm, der sie auf Island festsetzt, umschwenken und ihre Expedition anpassen, wie sie die Kinder an Bord unterrichten oder sich auf ein solches Wagnis überhaupt einlassen, ist man verblüfft, wie anpassungsfähig und vorbereitet sie stets sind. Dabei nagen an ihnen selbst auch Zweifel, ob dies der richtige Weg ist und wenn Wünsche aufkommen, an der Situation etwas zu verändern, müssen sie auch die finanziellen Aspekte abwägen. Es ist ungemein beeindruckend, welche Verantwortung jedes einzelne Familienmitglied hier trägt. Auch Kinder, die Nachtwache halten und für das Wohl der ganzen Familie verantwortlich sind. Keine Herausforderung ist zu groß und dazu zählt auch das gemeinsame Leben auf engstem Raum über Jahrzehnte hinweg. Die Einblicke, die Filmemacherin Livia Vonaesch gewährt, sind beeindruckend und manche Bilder vom Meer oder dem Horizont sind schlicht atemberaubend. Dennoch gibt es Punkte, die nur angerissen, aber nicht vertieft werden. Dazu zählt insbesondere die Expedition zur Sensibilisierung von Klimathemen an sich, der sich die Schwörers verschrieben haben. Als Porträt eines so interessanten wie einnehmenden Lebensentwurfs, der sich gänzlich von den meisten unterscheidet, unterstreicht Home is the Ocean dabei so gelungen wie faszinierend, wozu wir Menschen mit Resilienz, Durchhaltevermögen und Kreativität im Stande sind. Sehenswert.
 

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