
Laufzeit: 102 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2025
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Hanno Olderdissen
Musik: Roman Vinuesa, Tobias Wagner
Besetzung: Christoph Maria Herbst, Nico Randel, Sesede Terziyan, Michael Ostrowski, Tristan Seith, Tanja Schleiff, Anja Herden, Martin Brambach, Rudolf Kowalski
Kurzinhalt:
Zwei Jahre seiner Haftstrafe wegen Immobilienbetrug hat der Makler Thomas Bellmann (Christoph Maria Herbst) verbüßt, als er auf Bewährung freigelassen wird. Von seinem Bewährungshelfer Giesser (Michael Ostrowski) erhält er die Auflage, dass er sich eine Arbeit suchen soll. Doch Thomas will lieber Geld im Ausland investieren, da ansonsten seine Gläubiger alles davon bekommen würden. Noch bevor er weiß, wie er das am besten anstellen soll, erhält er eine unerwartete Nachricht. Seine leibliche Mutter, die Thomas als Waise nie kennengelernt hat, hat ihm ein Haus geschenkt. Könnte er das verkaufen, hätte er alles, was er für seine Investition braucht. Doch es gibt einen Haken, denn in dem Haus wohnt Thomas’ Halbbruder Roland (Nico Randel), von dem er ebenfalls nichts wusste. Roland hat Trisomie 21 und wird im Alltag von Betreuerin Yesim (Sesede Terziyan) unterstützt. Die erzählt Thomas auch, dass das Sozialamt ihn in ein Heim packen würde, gäbe es Hinweise, dass er nicht allein leben kann. Darum nistet sich Thomas bei seinem Halbbruder ein und sucht nach Mitteln und Wegen, ihn aus dem Haus zu bekommen. Aber selbst wenn Roland bei vielen Dingen Hilfe benötigt, er hat eine gute Menschenkenntnis. Dabei steckt Thomas bereits in neuen Schwierigkeiten …
Kritik:
Filmemacher Hanno Olderdissen folgt in seiner durchaus charmanten Komödie Ganzer halber Bruder einem Konzept, das man aus vielen ähnlichen Geschichten kennt. Darin wird eine grundsätzlich unsympathische Figur mit Menschen in ihrem Leben konfrontiert, die sie ihre eigene Haltung überdenken und einen guten Kern in sich entdecken lassen. Dank der Besetzung und einiger starker Momente in der zweiten Filmhälfte gelingt dies auch durchaus. Dennoch hätte man sich mehr gewünscht.
Die Erzählung beginnt damit, wie der Immobilienmakler Thomas Bellmann aus dem Gefängnis entlassen wird. Nach zwei Jahren ist er auf Bewährung frei, wobei es seiner Aussage nach kaum lohnt, dass er sich eine Arbeit sucht – eine seiner Bewährungsauflagen – da was immer er verdient, ohnehin nur an die Gläubiger fließen würde, die er um ihr Geld gebracht hat. Sein windiger Bewährungshelfer übergibt ihm unter anderem einen Notarbrief und wenig später erfährt Thomas, dass er von seiner Mutter ein Haus geschenkt bekam. Das ist für ihn in doppelter Hinsicht eine Überraschung, denn als Waise aufgewachsen, hat er seine Mutter nie kennengelernt. In dem Haus wohnt Thomas’ ebenfalls bislang unbekannter Halbbruder Roland. Roland hat Trisomie 21 (Down-Syndrom) und, wie von ihrer Mutter verfügt, lebenslanges Wohnrecht in dem Haus. Dabei käme Thomas der Erlös aus dem Hausverkauf gerade recht, denn dann könnte er in ein neues Immobilienprojekt in Spanien investieren. Doch dafür muss er seinen Halbbruder aus dem Haus bekommen. Dem hilft die Betreuerin Yesim bei der Bewältigung seines Alltags, denn auch wenn Roland einer geregelten Arbeit nachgeht, er ist nicht gut mit Zahlen und braucht Struktur und Routine. Kommt die durcheinander, reagiert er teils auch körperlich abwehrend, was in Anbetracht seiner Kraft, er bereitet sich auf einen Wettkampf im Gewichtheben vor, auch zu schwierigen Konfliktsituationen führt. Für Thomas scheint die Lösung daher einfach: wenn es ihm gelingt, Roland auch in der Öffentlichkeit genügend zu provozieren und unter Druck zu setzen, wird das Sozialamt entscheiden, dass er nicht allein leben kann, sondern in ein Heim muss. Dann wäre das Haus für den Verkauf frei. Dabei muss sich Thomas sputen, denn er hat bereits einen Käufer für das Haus, der keine Verzögerung duldet.
Der Grundstein ist insoweit gelegt, dass Ganzer halber Bruder Hauptdarsteller Christoph Maria Herbst in einer Rolle zeigt, die er bereits oft verkörpert hat, als egoistisches Ekelpaket, das die Menschen um sich herum ausnutzt. Dass das Drehbuch Thomas komplexer anlegt, ihn als Figur vorstellt, die ohne familiären Bezug aufwuchs und daher das Gefühl nicht kennt, dass sich jemand um einen sorgt, oder man nicht allein ist, ist ein guter Einfall. Doch seine charakterliche Wandlung passiert ebenso schnell, wie Thomas nie böse genug gerät. Er wird zu Beginn als jemand vorgestellt, der seine Kunden um hohe Summen betrogen hat, doch ob er wirklich Reue zeigt, oder an sich genauso weitermachen möchte, wie zuvor, um wieder zu Geld zu kommen, wird nie auch nur thematisiert. Roland spannt er erst spät für seine Zwecke ein und gerät dann schnell in eine verteidigende Abwehrhaltung, als der Vermittler des Hauskaufs ihn unter Druck setzt und Roland angeht. Es ist gefühlt ein Hin und Her, anstatt eine nachhaltige charakterliche Entwicklung aufzuzeigen. Überhaupt wirkt die gesamte Nebenhandlung um den Hausverkauf zusammen mit zwei Bösewichtsfiguren arg aufgesetzt und zum Rest der Geschichte kaum passend. Dass dabei Personen vorgestellt werden, wie auch zu Beginn mit Thomas’ Bekanntschaft, die im weiteren Verlauf der Erzählung aber keine Rolle mehr spielen, unterstreicht den Eindruck, als wäre das Drehbuch ein bis zwei Überarbeitungen zu früh verfilmt worden.
Dafür sind die Verantwortlichen merklich bemüht, Roland in die Geschichte einzubinden. Der junge Mann wird ungeachtet seiner Besonderheit als ein ganz normaler Mann vorgestellt, der sich nach Gesellschaft sehnt und daher die Anwesenheit seiner Betreuerin kaum erwarten kann, in die er wohl auch heimlich verliebt ist. Selbst wenn er den Zustand seiner im Krankenhaus liegenden Mutter nicht ganz einschätzen kann, die Situation beschäftigt ihn sichtbar, wobei ihm sein Alltag und seine Hobbys Halt geben. Neben dem Sport zählen dazu Comics, in denen er sich wiederfinden kann. Nico Randel porträtiert Roland, genannt Sunny (Bobby Hebbs Song-Klassiker aus dem Jahr 1963 wird in vielen Varianten eingespielt), als einen wandelnden Sonnenschein, der Thomas doch durchschaut. Ihre Momente sind es, die Ganzer halber Bruder letztlich auszeichnen, auch wenn es erst nach einer Stunde eine sichtbare Annäherung zwischen den Halbbrüdern gibt. Wird Thomas’ Oberflächlichkeit schließlich aufgebrochen und blickt die Erzählung hinter das zynische Auftreten, was ihn als Waisen Zeit seines Lebens bewegt hat, gewinnt sie auch an Tiefe. Doch folgt dem kaum etwas. In Anbetracht dessen, was hier alles so gut gelungen ist, ist das umso mehr schade.
Fazit:
Es dauert lange, ehe Regisseur Hanno Olderdissen nicht nur hinter Thomas’ Fassade blickt, sondern auch Roland weiter beleuchtet. Bis dahin bestehen ihre Szenen aus zwar amüsanten Situationen, die man aber doch oft so ähnlich bereits gesehen hat. Dabei verbergen sich hier auch berührende Momente und es ist unübersehbar, dass die Verantwortlichen nicht nur mit großer Sorgfalt inklusive Themen ansprechen, sondern auch das Herz am rechten Fleck haben. Doch anstatt Thomas als richtig böse Figur zu etablieren, die sich wandelt, versucht sich die Geschichte an einer konstruierten und kaum greifbaren Nebenhandlung um Schurken, die doch nirgendwo hinführt und am Ende keine wirkliche Rolle mehr spielt. Es geht leider nicht darum, dass Thomas und Roland zusammen etwas erreichen oder verhindern müssen. So wirkt das Ende allerdings nicht so verdient, wie es die Figuren an sich verdient hätten. Man kann sich durchaus vorstellen, wie dies anders hätte aussehen können. Dann wäre der Film mehr als er nun ist, wobei hier eine interessantere, vielschichtigere Story steckt, als erzählt wird. Als unterhaltsames, warmherziges Kino, das das Publikum einlädt, die Vielfalt unserer Gesellschaft ohne Vorurteile anzunehmen, ist Ganzer halber Bruder dennoch gelungen. Das ist mehr wert, als man vermuten würde.