
Originaltitel: Fiore Mio
Laufzeit: 82 min.
Produktionsland: Italien / Belgien
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung
Regie: Paolo Cognetti
Musik: Vasco Brondi
Personen: Paolo Cognetti, Laki, Remigio Vicquery, Marta Squinobal, Arturo Squinobal, Corinne Favre, Sete Tamang, Mia Tessarolo
Hintergrund:
Bei seiner Zeit in den Alpen bemerkt Filmemacher Paolo Cognetti, dass das Wasser in der Hütte, in der er sich regelmäßig aufhält, jüngst ausgeblieben ist und mitunter so spät kommt, wie es die Menschen in den Bergen noch nie gesehen haben. Daher macht er sich auf, zu verstehen, woher das Wasser kommt, das er in seiner Hütte normalerweise abschöpft. Auf seinem Weg zum Gletscher, aus dem sich das Wasser speisen soll und den er mit einem Bergführer aufsuchen wird, besucht Cognetti verschiedene Hütten in den Alpen. Er trifft verschiedenste Personen, die ein Leben in den Bergen gewählt haben, und tauscht sich mit ihnen über die Besonderheiten des Lebens hoch oben in der Natur aus.
Kritik:
Der italienische Filmemacher und Autor Paolo Cognetti verbringt jedes Jahr mehrere Monate in den Alpen. In seinem ruhigen Dokumentarfilm Fiore Mio lädt er das Publikum ein, ihn zu begleiten. Dabei geht es ihm nicht notwendigerweise darum, eine Geschichte zu erzählen, oder sich eines bestimmten Themas anzunehmen. Stattdessen fühlt sich seine Erzählung an, wie ein Ausflug in die Berge und die Ruhe, die damit einhergeht. Das ist entschleunigend und toll bebildert, lässt einen aber mit der Hoffnung auf mehr zurück.
Bereits die ersten Eindrücke der Berge sind schlichtweg atemberaubend. Cognetti ist dort mit seinem Hund Laki unterwegs, über die windgepeitschten Gipfel mit ihren klaren Seen, wo der Schnee bereits geschmolzen ist. Sie sehen viele Tiere, Rehe und Murmeltiere, aber auch seltene Pflanzen. Cognetti möchte wissen, woher das Wasser für die Hütte kommt, in der er seine Zeit verbringt, denn das Wasser ist kürzlich ausgeblieben. Selbst, dass es so spät kam, haben die Menschen, die in den Bergen leben, noch nie gesehen. Darum macht sich der Filmemacher auf zu den Gletschern und trifft entsprechende Vorbereitungen. Auf seinem Weg sucht er Menschen auf, die ein Leben in den Gipfeln gewählt haben und die dort allesamt eines verbindet.
Zu diesen Personen zählen ein beinahe 80jähriger, erfahrener Bergführer, der dort oben bereits mehrere Hütten gebaut hat, die seit Jahrzehnten bestehen. Eine Frau, die über den Wolken eine solche Hütte führt, oder ein Sherpa, der früher den Mount Everest bestiegen hat, inzwischen in den Alpen auf einer Berghütte aber als Koch arbeitet. Viele Informationen hiervon muss man sich erschließen, Fiore Mio stellt die einzelnen Personen und in welchem Verhältnis sie zueinander bzw. zum Filmemacher stehen, nicht wirklich vor. Paolo Cognetti unterhält sich mit ihnen, manchmal zielgerichtet, manchmal erzählen sie einfach von dem, was ihnen in den Sinn kommt, sodass die Unterhaltungen keiner wirklichen Struktur folgen. Was der Dokumentarfilm jedoch herauskristallisiert, ist dass sie alle ein Gespür für die Natur verbindet. Ebenso wie eine Form der Spiritualität, die nicht notwendigerweise etwas mit einer Religion gemein haben muss. Ein Leben ohne die Berge können sie sich nicht vorstellen, selbst wenn sie immer wieder in die „Zivilisation“ im Tal zurückkehren müssen.
Manche dieser Personen haben Schlimmes erlebt, doch dort in der Abgeschiedenheit, in der sich die Landschaft je nach Jahreszeit verändert, inzwischen nur noch mehr, da der menschengemachte Klimawandel die Veränderungen im Schnee und Gestein noch schneller vorantreibt, finden sie Ruhe und Frieden. Es ist ein Leben, das sich viele womöglich noch für einen Wochenendausflug vorstellen können, aber kaum für einen regelmäßigen Alltag. Wenn man sich selbst die Haare schneiden muss, da es dort oben keine Dienstleistungen solcher Art gibt. Oder man im Herbst Vorbereitungen für den Winter treffen muss, sei es Feuerholz sammeln oder Lebensmittel einlagern. Ganz zu schweigen davon, dass es Annehmlichkeiten wie Waschmaschinen nicht gibt, sondern sich die Menschen mit Waschtrommeln oder Ähnlichem behelfen müssen. Fiore Mio zeigt all dies beinahe nebenbei, nicht als würde der Filmemacher diese Beobachtung ins Zentrum seines Dokumentarfilms stellen. Dessen Ausgangspunkt, zum Ursprung des Wassers aufzubrechen, verliert er auch irgendwann einfach aus dem Blick, nachdem er mit einem Bergführer zum Gletscher aufgebrochen ist.
Dafür zeigt Cognetti, dass sie selbst in entlegenen Höhen nicht die ersten, mit Skiern auf Spuren unterwegs sind, die andere bereits hinterlassen haben. Dort oben, weit ab sonstiger Siedlungen, gibt es Steinhütten und Bauten, die lange bereits aufgegeben sind, aber davon zeugen, dass Menschen dort nicht nur vorübergehend gelebt haben. All dies sind Aspekte, die neugierig machen und viele Fragen aufwerfen, von beinahe vergangenen Sprachen ganz zu schweigen. Fragen, die Paulo Cognetti selbst stellt, ohne eine Antwort darauf aber tatsächlich zu suchen. Auch thematisiert er die Veränderungen in den Bergen auf Grund des Klimawandels, ohne dass er seinem Publikum einen Appell mit auf den Weg geben würde, sich stärker zu engagieren. Wenn Marta Squinobal meint, dass sie sich um die Natur keine Sorgen macht, da die Natur all dies überstehen wird, sondern wir Menschen es sind, die in dem geänderten Klima nicht werden überleben können, dann ist das eine wichtige Aussage, die aber kaum widerhallt.
Womöglich möchte Regisseur Cognetti aber auch gar keine mahnende Aussage treffen, sei es dazu, dass diese Landschaft in absehbarer Zeit so wohl gar nicht mehr existieren wird. Oder dazu, dass die Menschen dort es immer schwerer haben werden, sich zu versorgen, wenn sogar das Wasser in den Bergen ausbleibt. Dann jedoch muss man sich fragen, weshalb Fiore Mio diese Aspekte überhaupt aufgreift, wenn sie nicht fortgeführt werden. Der ruhige Dokumentarfilm überzeugt durch seine Stimmung und seine Bilder, während er inhaltlich nicht wirklich weiß, was er dem Publikum vermitteln möchte. Das bedeutet nicht, dass man hiervon nicht ergriffen sein kann. Aber so besinnlich die Erzählung präsentiert wird, so wenig klingt sie am Ende dennoch nach.
Fazit:
Wenn man nach den durchaus kurzweiligen 80 Minuten eines festhalten kann, dann dass es ein besonderer Menschenschlag ist, der sich für ein Leben in den Bergen entscheidet. Das ist nicht despektierlich gemeint. Jede und jeder einzelne hat seine Geschichte, seine Erfahrungen und sie alle verbindet der Wunsch, genau dieses Leben zu wollen. Für sie ist es keine Herausforderung, sondern beinahe so etwas wie eine Lebensphilosophie. Dass viele Menschen die Stille, auch mit den eigenen Gedanken, kaum mehr verkraften, ist ebenfalls eine gelungene Aussage, wie auch die Eindrücke geradezu überwältigend sind. Zusammen mit der Musik wirken die Bilder der traumhaft schönen Landschaft auf eine einnehmende Art und Weise entschleunigend. Dennoch weiß man nicht wirklich, ob bzw. was Filmemacher Paolo Cognetti seinem Publikum mit auf den Weg geben möchte. Fiore Mio folgt keiner greifbaren Struktur und nimmt auch keine bestimmte Aussage in den Blick. Doch dafür fängt der Dokumentarfilm die Stimmung gekonnt ein, die einen ergreift, wenn man in den Bergen nicht um ein Ziel willen wandert, sondern um die Natur in sich aufzunehmen und ein Teil von ihr zu werden. Das allein kann bereits das Ansehen lohnen.