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Willkommen in der Welt von Vorgestern
Treffpunkt: Kritik Wie alt unsere Welt genau ist und wann die eigentliche Zeitrechnung begonnen hat, ist ein Thema vieler Dissertationen. Nach der modernen Rechnung befinden wir uns im Jahr 2010, in einer Zeit, in der es den Menschen wie nie zuvor ermöglicht wird, zu kommunizieren, das Wissen von Jahrtausenden Forschung auszutauschen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.
Aber während sich ein harter Kern strikt darauf konzentriert, den Blick nach vorn in die Zukunft zu richten, scheint sich eine unvorstellbar breite Masse auf die Vergangenheit zu zu bewegen und mit allen erforderlichen Mitteln darum zu kämpfen, dass sämtliche Errungenschaften der vergangenen Jahrhunderte im Sumpf der Vergessenheit verschwinden. Nicht selten wird dieses Vorgehen unter dem Deckmantel des Konservatismus schöngeredet.
So kann man sich kaum vorstellen, dass die Evolutionslehre der Tiere und der Natur nach wie vor oftmals als "Evolutionstheorie" propagiert wird und sich immer noch Millionen Menschen von religiösem Starrsinn dahingehend blenden lassen, die Welt sei in sieben Tagen erschaffen und die Dinosaurierknochen nur im Boden platziert worden, um die heutigen Archäologen zu verwirren.
Wer das amüsant findet, sollte einen Blick über den großen Teich wagen, denn seit die USA ihren ersten Präsidenten afroamerikanischer Herkunft im Amt sehen, scheint sich die konservative Basis nicht nur rapide ins Mittelalter vorzubewegen, sondern auch erschreckend schnell zu wachsen. So ist der texanische Gouverneur Rick Perry doch in der Tat der Meinung, die Explosion der Bohrinsel im Golf von Mexiko (deren Auswirkungen das dortige Ökosystem entweder für Jahrzehnte in Mitleidenschaft ziehen oder ganz abtöten werden), wäre womöglich ein "Akt Gottes" gewesen. Man solle demnach auch keine übereilten Reaktionen treffen, wie gar das Bohren nach Öl im mexikanischen Golf einzustellen – immerhin hatten die Republikaner Obama die Bohrerlaubnis in einem politischen Tauziehen abgerungen –, sondern von Zeit zu Zeit gebe es solche Ereignisse, die von Gott gewollt wären und die sich nicht verhindern ließen.
Damit nicht genug gibt es eine stärker werdende Bewegung in den USA, die anzweifelt, ob Obama überhaupt Amerikaner ist. Die Facebook-Gruppe, die für den Tod des US-Präsidenten betet wächst ebenso stetig und ist inzwischen bei über einer Million Mitglieder angekommen. Wüssten die Gründer des Landes, dass dies einmal unter dem Deckmantel der unbegrenzten Möglichkeiten praktiziert wird, würden sie sich vermutlich im Grabe umdrehen.

Doch damit nicht genug, sorgt ein jüngst in Arizona verabschiedetes Gesetz landesweit für Unmut bei der denkenden Bevölkerung. Dort dürfen von nun an alle Einwanderer, die ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht bei sich führen, von den Ordnungskräften verhaftet werden. Dies hat verständlicherweise zur Folge, dass von nun an häufiger Stichproben durchgeführt und Menschen auf Grund ihres Aussehens pauschal als Ausländer eingestuft werden. Ob auch in Erwägung gezogen wird, Ausländer per Gesetz zum Tragen eines sichtbaren Abzeichens wie einer Armbinde oder eines Davidsterns zu zwingen, wollte man bislang aber nicht kommentieren. Immerhin wurde auch festgelegt, dass Lehrer mit ausländischem Akzent nicht mehr unterrichten dürfen, immerhin wolle man die Englische Sprache ja erhalten. Die Zeiten, in denen die USA sich selbst als Schmelztiegel erkannt hatten, scheinen offenbar vorüber.
Dafür wird unter dem Deckmantel des konservativen Unterhaltungsjournalismus im Sommer ein neuer Sender ans Netz gehen, dessen Name "Right Network" nicht nur im Sinne der Programmgestalter zu verstehen ist. Diese behaupten zwar, man würde ein vielseitigeres Bild Amerikas zeichnen als es derzeit der Fall wäre, lädt aber in den vorgestellten Videos Menschen und Meinungen aus dem politisch rechts gerichteten, konservativen Lager ein, die bevorzugt auf Obamas Politik eindreschen. Auf einer Kundgebung wurde der neue Sender von einem Mitarbeiter beworben "Für Menschen, die an dieses Land glauben und die der Meinung sind, dass wir uns bei niemandem entschuldigen müssen". Über den Kern dieser Aussage, die frappierend an die Bush-"es geht die internationale Gemeinschaft einen feuchten Dreck an, mit wem ich einen Krieg anfange"-Politik erinnert, darf sich ein jeder Gedanken machen.

Führt man sich ein solches Gedankengut vor Augen, verwundert es auch nicht, dass eine junge Frau auf Grund eines Spruchs auf ihrem T-Shirt bei einem Gerichtsbesuch der Verhandlung einer Freundin, zu einer Nacht im Gefängnis verurteilt wurde.
Und man schüttelt auch nicht mehr den Kopf, wenn der militant schwulenfeindliche Priester Rekers während seines Urlaubs mit einem Callboy an seiner Seite fotografiert wird. Nicht auf Grund der Tatsache, dass ein Priester einen Callboy engagiert (lieber so als auf die Art und Weise wie manche "Würdenträger" hierzulande ihre Phantasien befriedigten) ist dies bemerkenswert, sondern vielmehr auf Grund der himmelschreienden Heuchlerei, dass eben jener vermeintlich homophobe Aktivist ein versteckter Homosexueller ist.
Dessen nicht genug wurde der Callboy vom Priester zur Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung gebracht, so dass der Geistliche nun droht, Alles und Jeden zu verklagen, der über seine Beziehung zu dem jungen Mann oder deren sexuelle Natur an die Öffentlichkeit geht, oder es überhaupt erwägt, seinen "guten Namen" in den Schmutz zu ziehen. Dass lediglich sein eigenes bigottes Verhalten hier für Dreck am Stecken sorgt, scheint ihm aber entgangen zu sein.

Es kommt einer Verharmlosung gleich, was sich derzeit vielerorts abspielt (darunter auch die Burka-Verbote in Belgien, geplant unter anderem in Frankreich und Australien) als einen erneuten Vorstoß konservativer Identitätserhaltung der jeweiligen Länder zu bezeichnen. Vielmehr sind es die Vorzeichen versteckt faschistischer Geschwüre, wie es sie zuletzt vor nicht einmal 70 Jahren gegeben hat.
Wer der Meinung ist, dass so etwas nur in den USA vorkommen kann und wir hierzulande vor solch irrigen Auswüchsen auf Grund unserer Geschichte gefeilt sind, der sollte sich nicht zu früh freuen. Wie vor einigen Wochen bekannt wurde, kann ab dem kommenden Schuljahr an saarländischen Gymnasien das Fach Geschichte nach der neunten Klasse abgewählt werden. Wer sich also dort fortan nicht mehr mit den unangenehmen Themen des Nationalsozialismus oder des Kalten Krieges beschäftigen will, kann sich jene Themengebiete ersparen. Ob das aber nicht gleichzeitig zu einer noch größeren Ignoranz bei der Jugend führt und damit einen ohnehin köchelnden Unruheherd auf Stichflamme setzt, muss jeder für sich entscheiden.
Denn der Leitspruch, wer sich die Geschichte nicht vor Augen hält ist, dazu verdammt sie zu wiederholen, hat in einer Zeit, in der die Dunkelziffer rechtsradikaler Gruppen und Vereine immer größer wird, an sich nur an Bedeutung gewonnen.

Nur so ist es auch zu erklären, dass eine Nachricht im Zusammenhang mit dem gescheiterten Bombenanschlag am New Yorker Time Square in der letzten Woche völlig untergegangen ist: Zwar hat hier eine Verhaftung bereits stattgefunden, und es wurden die üblichen Stimmen eines Aufkommens islamistischer Terrorgruppen laut, nur will man hier Eines meist nicht hören: Derjenige Mann, der die Polizeibehörden auf das verdächtige Fahrzeug aufmerksam machte, ist selbst ein immigrierter Moslem.
Wie das den "Konservativen" gefällt, kann man sich denken.
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